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Die Leidensgeschichte der Frau

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DER FRAU ABER GEZIEMT ES, ZU SCHWEIGEN Glossen sur Emanzipation der Frau. Von Marla Bosseels. Aus dem Holländischen übertragen von L. Swennen. Herder-Verlag, Wien-Freiburg-Basel, 1864. 223 Selten. Preis 82 S.

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DER FRAU ABER GEZIEMT ES, ZU SCHWEIGEN Glossen sur Emanzipation der Frau. Von Marla Bosseels. Aus dem Holländischen übertragen von L. Swennen. Herder-Verlag, Wien-Freiburg-Basel, 1864. 223 Selten. Preis 82 S.

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Vor uns liegt mit diesem reizenden Buch — dessen Titel bereits die leise lächelnde Überlegenheit der Verfasserin zu beiden Mottos ahnen läßt — das Ergebnis eines literarhistorischen Streifzuges durch die Geschichte und die Stellung der Frau, beginnend mit der Gefährtin des Neandertalers und endend mit der bis zur Verzweiflung kämpfenden Suffragette des 19. Jahrhunderts.

Auf diesem Streifzug durch die Geschichte der Frau begegnen wir der „alleinschuldigen“ Eva und der übereifrigen Künderin des frühen Christentums, die der heilige Paulus in die Schranken weist (mulier taceat in ecclesia). Wir treffen die mit allen Rechten einer „modernen“ Gesetzgebung ausgestatteten Ägypterin der drei Reiche, deren Ehe- und Besitzkontrakte in Tausenden von Papyri erhalten sind; wir bedauern das Leben der Germanin, die, als persönliches Eigentum und als Sklavin aller Männer ihrer Sippe, bis in die Tage Karls des Großen ein wahrhaft barbarisches Leben führen mußte (im Gegensatz zum Mythos von der „Freien“ und der „Stolzen“); wir erleben die Griechin, die geistige (und menschliche) Ebenbürtigkeit nur als Hetäre erringen konnte, oder die Frau des Mittelalters, der Thomas von Aquin und damit die „Kirche“, im Gegensatz zur Lehre des frühen Christentums, wiederum jegliche Seele absprachen, und die Mohammedanerin, die widerspruchslos das Leben ewiger Gefangenschaft und tatenlosem Dahindösen in einem Harem voller Nebenbuhlerinnen hinzunehmen gezwungen war. Die Römerin war früh schon, das heißt, seit den Tagen der Republik, an ihre Machtstellung als „Domina“ des Hauses gewöhnt und führte als ebenbürtige Partnerin ihres Mannes ein eigenes Leben. In der Kaiserzeit mußten selbst kaiserliche Ehegatten und Väter machtlos ihrer Vergnügungs- und Putzsucht zusehen; schließlich wurden ihr diese Ausschweifungen doch manchmal zum Verhängnis.

Die Geringschätzung der Frau als menschliches Wesen bei Chinesen und Indern, also bei Buddhisten und Hindus, steht ungefähr auf der gleichen Stufe; sie beginnt mit dem Unglück und der Schande, als Mädchen geboren zu werden, und wird nur

durch die Hoffnung gemildert, einst als Mann reinkarniert, aller Unbill eines weiblichen Daseins entrinnen zu können.

Die Flucht ins Kloster — vor einem Dasein, das im besten Falle jenes geduldiger Unterwerfung und widerspruchsloser Erfüllung aller Forderungen, war die Mann, Familie und Söhne an die Frau zu stellen das Recht hatten — galt Jahrhunderte hindurch als der einzige Ausweg einer nach höherer geistiger Bildung und menschlicher Wertschätzung strebenden christlichen Frau. Nicht immer war es nur als eine Flucht vor den realen Anforderungen des täglichen Lebens und als eine Flucht zu Gott zu werten.

Das traurigste Kapitel in der Geschichte der Frau hat der europäische Norden — also die skandinavischen Länder, Deutschland und Nordwesteuropa — geschrieben, als er die übernatürlich erscheinende Anziehungskraft mancher Frauen als Hexerei brandmarkte und seinen grausamen Urinstinkt bei der Folterung und Verbrennung dieser unglücklichen Wesen reinen Gemütes befriedigte.

Wenn es auch scheint, als ob wir

heute am Endpunkt einer langen Phase der Entwicklung und der Emanzipation der Frau stünden, und wenn wir, als vorläufiges Ergebnis dieses Kampfes um die Gleichberechtigung, vor allem die Aufdeckung der geistigen und menschlichen Schwächen des „starken Geschlechtes“ betrachten, müssen wir uns damit abfinden, daß häufig starke Frauen und schwache Männer das private, wissenschaftliche und politische Geschehen in vielen Ländern der westlichen Zivilisation, aber auch des kommunistischen Ostens wesentlich beeinflussen. Jahrtausendelang hat sorgende Liebe, bewunderndes Aufschauen und willige Unterwerfung der Frau den Glauben an die Stärke des Mannes, der das Leben meisterte, getragen. Wir stehen heute vor einem entmythologisierten Idol, dessen Platz fast nur mehr der eines Geschlechts- und Sozialpartners ist und dessen gesellschaftliche und familientragende Rolle in zunehmendem Maße auf die Frau überzugehen scheint.

Gott hat beide Wesen geschaffen, damit sie einander ergänzen, und er hat jedem seinen Platz innerhalb der Schöpfung zugewiesen; der Kampf der Frau oder vielmehr jener der Geschlechter soll allein der Wiederherstellung dieses natürlichen Gleichgewichtes gelten.

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