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Vom Rabbinismus zum Zionismus

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Die Religion des nachbiblischen Judentums. Von Kurt Schubert. Verlag Herder, Wien-Freiburg.344 Seiten. Preis 78 S.

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Die Religion des nachbiblischen Judentums. Von Kurt Schubert. Verlag Herder, Wien-Freiburg.344 Seiten. Preis 78 S.

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Der Dozent am Orientalischen Institut der Wiener Universität legt mit seinem Buch, das die erweiterte deutsche Ausgabe einer ursprünglich in holländischer Sprache innerhalb einer religionsgeschichtlichen Reihe erscheinende Arbeit darstellt, ein Werk vor, das eine wirkliche Lücke in der Fachliteratur ausfüllt. Es wurden zwar in den letzten Jahren Religion und Theologie des Alten Testaments sowie des Judentums zur Zeit Christi wiederholt behandelt (zum Beispiel in König, „Christus und die Religionen der Erde“), auch monographische Darstellungen späterer Perioden der jüdischen Religionsgeschichte, wie etwa jene der Sammlung des Talmuds, der mittelalterlichen Religionsphilosophie, des Chassidismus, der Emanzipation des Judentums in der Neuzeit usw., gibt es, wenn sie auch meist entweder veraltet oder nicht mehr greifbar sind. Eine zusammenfassende Darstellung jedoch, wie Schubert sie bietet, existierte unseres Wissens bisher nicht. In Form eines Lehrbuches' gibt er darin eine umfassende Schau des Lehrgehaltes der jüdischen Religion und der religiösen Strömungen vom Rabbinismus des frühen Judentums über die philosophische Bewältigung weltanschaulicher Probleme im Mittelalter bis zum jüdischen Pietismus der Neuzeit und der Säkularisation des Judentums im Zionismus der Gegenwart. Der Verfasser geht in seiner Darstellung fast immer auf in orientalischen Sprachen abgefaßte erste Quellen zurück. Trotz reichlicher Zitate umfaßt das ganze Werk dennoch nur relativ wenige Seiten. Selbstverständlich sind auch bereits die Ergebnisse der neuen Handschriftenfunde von 'En Fesha am Toten Meer reichlich verwertet, die beispielsweise neue Gesichtspunkte zum Verständnis der Gnosis liefern. Aufschlußreich für den Nichtfach-mann ist vor allem die Einführung in die Terminologie der rabbinischen Literatur (Misna,- Gemara, Baraita usw.). Vielleicht wäre es in diesem Zusammenhang angebracht gewesen, darauf hinzuweisen, daß der Begriff „Talmud“ bisweilen in verschiedenem Umfang verwendet wird (Misna plus Gemara oder Gemara allein).

Nicht zu teilen vermag der Rezensent die Meinung des Verfassers, daß der Erbsündebegriff bereits in der rabbinischen Literatur vorhanden sei. Die vom Autor zur Stütze seiner Auffassung angeführten Zitate sind nicht stringent. Es muß eben zwischen Erb sünde und Erb übel unterschieden werden. Das formelle Wesen der Erbsünde besteht nach der katholischen Theologie in der von Adam verschuldeten Privation der heiligmachenden Gnade, die als Schuld auf alle Menschen übergegangen ist (Rom. 5, 12: „ . . in dem alle gesündigt haben ...“), während die angeführten Stellen aus den Apokryphen wohl nur im Sinne von ererbten Uebeln gedeutet werden können.

Bemerkenswert für den philosophisch interessierten Leser ist der' Abschnitt über die mittelalterliche Religionsphilosophie, über die in den Handbüchern der Philosophiegeschichte meist nur spärliche Bemerkungen zu finden sind. Mit Recht nimmt darin der Aristoteliker Maimonides den größten Raum ein, nicht nur wegen seiner überragenden Bedeutung innerhalb des Judentums selbst, sondern auch ob seiner Wichtigkeit für die christliche Scholastik, für die seine Lösungen nicht selten vorbildlich waren (Thomas von Aquin!). Gerade der christliche Leser würde wünschen, daß diese Beziehungen noch ausführlicher behandelt wären.

Hochinteressant und aktuell zugleich sind die Ausführungen über den Zionismus der Gegenwart. Obwohl über dieses Kapitel naturgemäß noch nichts Abschließendes und Endgültiges gesagt werden kann, so wirken die klugen und wohlabgewogenen Ausführungen überzeugend und sprechen von der vertieften, die Zusammenhänge und Gründe dieser Bewegung erkennenden Schau des Verfassers. Wir möchten in Zusammenhang damit das Wort Hans Joachim Schoeps' zitieren: „Das Judentum ist weder eine bloße Konfession, noch ist es eine Rasse oder eine moderne Nation, sondern es hat in einem schwer definierbaren Dazwischen seinen Platz, für das es auch keine Analogien und Parallelen gibt“, und geben der Meinung Ausdruck, daß die Einmaligkeit dieses Volkes darin besteht, daß sein Wesen seine Religion ist. So gesehen, ist es nicht zu verwundern, daß die Fundamente des neuen Staatsgebäudes brüchig erscheinen, da ein säkularisierter Zionismus nicht imstande ist, das Wesen dieses Volkes zu verwirklichen. Wie sagt doch der Psalmist: „Wenn der Herr das Haus nicht baut, bauen die Bauleute vergebens.“

Das Buch Schuberts darf die Aufmerksamkeit der christlichen und selbstkritischen jüdischen Gläubigen, von Theologen, Philosophen und Orientalisten sowie aller jener, welche für die geistig-kulturellen Hintergründe des Gegenwartsgeschehens im nahen Orient Interesse haben, beanspruchen.

Der vornehm wirkende Schutzumschlag gibt die Darstellung „David tanzt vor der Bundeslade“ des zeitgenössischen französischen Künstlers Marc Chagall wieder.

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