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Die Rettung der Welt im neoliberalen Geiste

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Der Schweizer Wirtschaftsprofessor Walter Wittmann rechnet in seinem Buch „Countdown 2000 - Chancen einer nachhaltigen Zukunft” den Industriegesellschaften vor, daß sie sich auf der schiefen Bahn befinden und es mit ihnen ein böses Knde nehmen wird, wenn sie so weitermachen. Wie klug, wie wahr! Er lege ein Zehnpunkteprogramm vor, mit dem die Welt in letzter Minute gerettet werden könne, hieß es in der Ankündigung. Man darf auf ein solches Programm gespannt sein, wenn es von einem radikalen Marktwirtschaftler kommt.

Wittmann ist ein so radikaler Marktwirtschaftler, daß er sich für die Änderung des politischen Systems aussprach, sollte dieses nicht in der Lage sein, die freie Marktwirtschaft sicherzustellen: „Direkte Demokratie und Föderalismus in der Schweiz gehen für mich viel zu weit. Entscheidend ist, ob das politische System in der Lage ist, Marktwirtschaft zu realisieren. Wenn nicht, muß das politische System geändert werden.” So zitierte ihn die in Zürich erscheinende „Weltwoche”. Wittmann griff in dem Interview die Beteiligung der öffentlichen Hand an der Arbeitslosen-und Krankenversicherung scharf an: „Da bin ich strikte dagegen. Die Lohnabhängigen sollen ihre Versicherung selber finanzieren.”

Das Faszinierende an seinem neuen Buch ist die Lässigkeit, mit der er über einen Widerspruch hinwegschreibt. Der ergibt sich'daraus, daß er zwar die uneingeschränkte Souveränität des Marktes vertritt, sich aber in ein wahres Furioso apokalyptischer Szenarien hineinsteigert und Forderungen aufstellt, die niemals vom Markt, sondern nur von der Politik, und zwar einer autoritären Politik, und dies nicht einmal im Rahmen eines einzelnen Staates, erfüllt werden könnten.

Zum Beispiel: „Die Stabilisierung der Weltbevölkerung ist ein absolute Muß ... In den überbevölkerten Regionen ist die Bevölkerungszahl sogar zu senken ...” Ist zu senken ... Will er die Weltgeburtenpolizei? Oder: Solange die sichere Endlagerung des Atommülls nicht realisiert ist, sei „ein globales Moratorium zum Bau von Atomkraftwerken notwendig.” Was leicht zu machen wäre, wäre Wittmann Herr der Welt. Oder: „Die Me-gaballungszentren - vor allem jene der Dritten Welt dürfen unter keinen Umständen weiter wuchern. Sie müssen stabilisiert, entflechtet (sie!) und saniert werden.” Dürfen ... müssen ... ein paar Sätze über die Beseitigung der Ursachen, welche die Menschen in die Megaballungszentren treiben, wären überzeugender. Aber dazu müßte man am neoliberalen Credo kratzen. Es ist vielleicht doch gut, daß Wittmann nicht Herr der Welt ist.

Vieles stimmt einfach nicht. Zum Beispiel, daß ein Ende des Bevölkerungswachstums nicht abzusehen sei. Tatsächlich sind die Zuwachsraten rückläufig. Daß die industrielle (!) Entwicklung von Fernsehgeräten schon vor 1939 stattfand, ist auch neu. Der russische Ökonom Kondratieff wurde nicht „nach Sibirien verbannt, wo sich seine Spur verlor”, sondern am 17. September 1938 von einem Militärtribunal verurteilt und erschossen, und Schumpeter ist nicht in die USA „emigriert”, sondern schlicht einem längst anhängigen Buf nach Harvard gefolgt.

Widersprüche, Flüchtigkeiten zu-hauf. Etwa, wenn er apodiktisch erklärt, die Aussichten auf Wachstum und Entwicklung seien „überall dort düster, wo man die neuen Technologien nicht selbst entwickelt und produziert, sondern importieren muß”. Eine Reihe aufstrebender Billiglohnländer setzt voll auf importierte Technologien, die Länder, in denen sie entwickelt wurden, haben das Nachsehen. Oder wenn er die angeblich unaufhaltsame Verarmung des Mittelstandes damit begründet, daß dieser sein Kapital „vorwiegend in Immobilien” anlegt, aufweiche „der Fiskus... seit jeher ein waches Auge” wirft (darf er das nicht?), weil man mit Aktien leider nicht sein Alter absichern könne: „Auf die verheerenden Folgen eines Crash sei nur beiläufig hingewiesen.” Selbst jemand, der unmittelbar vor dem Crash von 1987 zum Höchststand Aktien kaufte, hat mit ihnen bis heute eine höhere Rendite als mit den konkurrierenden Sparformen erzielt. Das weiß der Wirtschaftsprofessor natürlich, schreibt es an anderer Stelle des Ruches indirekt auch. Aber wenn er in Weltuntergang schwelgt, ist er nicht zu halten.

Es ist nur folgerichtig, daß ihm eine Weltregierung am liebsten wäre. Er sieht die Unmöglichkeit, sie zu verwirklichen, nicht aber, welche Katastrophe für die Welt sie wäre. Vor allem eine nach seinem Geschmack. Denn da und dort entsteht der Verdacht, daß er die Katze nicht ganz aus dem Sack läßt. Etwa, wenn er fragt, „ob die liberale Demokratie eine notwendige und hinreichende Bedingung für wirtschaftliches Wachstum ist” oder schlicht feststellt, sie könne „sich also durchaus als Wachstumsbremse erweisen”. Er steht zum demokratischen Staat, sofern er nicht die Todsünde begeht, ein Sozialstaat sein zu wollen. Dem Sozialstaat gehört seine volle Abneigung. Mit Wörtern wie „Wohlfahrtsdiktatur” und „Krebsgeschwüre” ist er da schnell bei der Hand.

Die Alternative: Innovationen und Wachstum.

Wäre das der ganze Wittmann, könnte man dieses Buch vergessen. Nun sieht derselbe Wittmann aber einige Folgen der Entwicklung mit bemerkenswerter Klarheit und sein Buch enthält auch interessante Informationen und berechtigte Warnungen. Seine Grundstimmung ist Skepsis und gegen Ende Verzweiflung. Er weiß genau, was für die Umwelt g& schehen müßte, zitiert Ernst Ulrich von Weizsäcker mit seinem „Faktor vier” und führt in seinen apodiktischen zehn Punkten nicht nur den Verzicht auf Atomkraft und Kernwaffen auf, sondern auch den Verzicht auf das Benzinauto, auf amerikanische Konsumverhältnisse, auf das quantitative Wachstum.

Leider sei keine Regierung bereit, dieses zu beschränken. Ein Schlüsselsatz lautet: „Neue Arbeitsplätze wird es erst wieder geben, wenn die Lohnkosten auf das Niveau der Konkurrenz gesunken sind.” Aufs asiatische Niveau? Aufs ukrainische Niveau? Daß Löhne Kaufkraft bedeuten und die Marktwirtschaft sich selber abwürgt, wenn sie die Kaufkraft, von der sie lebt, abschafft, wird total ausgeblendet. In diesem Sinne ist es fast rührend, wenn Wittmann meint, es sei den Theologen nicht erlaubt, „daß sie Probleme konsequent zu Ende denken, wenn sie dabei an die Grenzen ihres Glaubens stoßen”, die Dogmen und Scheuklappen seines eigenen Metiers aber glatt negiert.

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