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Pius XII. uber den Aufbau des sozialen Krpers

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Die Kundgebung, die Papst Pius XII. an die diesmalige Tagung der „Semaines sociales“ in Straßburg, dieser jährlich wiederkehrenden sozialen Exerzitien der französischen Katholiken, gerichtet hat — eine Kundgebung, welche die große Bedeutung dieser Arbeiten ehrt — befaßt sich vielsagend mit den jetzt aktuellen Verstaatlichungsproblemen. Auch für das österreichische Sozialisierungsunternehmen hat das päpstliche Schreiben wichtigen Bezug.

Das vom 10. Juli 1946 datierte päpstliche Schreiben führt in der von der „Kipa“ veröffentlichten deutschen Übersetzung des französischen Originals nach einer auszeichnenden Würdigung der Sozialen Wochen der französischen Katholiken aus:

Die Kirche ist das Vorbild allen sozialen Lebens und dies gerade deswegen, weil sie den wahren Wert der menschlichen Person gerettet hat und der Erniedrigung entgegengetreten ist, in welche die Philosophen und die Sitten. des Heidentums sie hinabgezogen hatten. In der menschlichen Person, die nach dem Vorbilde geschaffen ist, anerkennt und verteidigt die Kirche den Ursprung und das Ziel alles sozialen Lebens.

Sie werden darum diese großen Wahrheiten nicht genug ins Licht setzen und betonen können. Diese Grundsätze müssen den Aufbau des sozialen Körpers leiten. Und das besonders heute, wo einseitig übertriebene Systeme auf allen Gebieten totalitäre Ansprüche erheben und dabei kein anderes Ziel verfolgen, als einen kollektiven Egoismus und keinen andern Ausdruck zu finden vermögen als einen allmächtigen E t a t i s m u s, wodurch die Individuen zu Bauern auf einem politischen Schachbrett oder zu Nummern in wirtschaftlichen Berechnungen herabgewürdigt werden. Es ist schlechthin unzulässig, daß ein Christ, und wäre es auch nur um den Kontakt mit jenen aufrechtzuerhalten, die sich im Irrtum befinden, sich auf irgendwelche Weise auf den Irrtum selber einläßt. Der notwendige Kontakt kommt übrigens ohne weiteres zustande und wird sich aufrechterhalten lassen, wenn die Christen loyal und bescheiden die Vorzüge der Wahrheit geltend machen, und die andern ebenso loyal und bescheiden nach der Wahrheit suchen.

Ein richtig beschaffener Gemeinschaftsgeist muß darum in ähnlicher Weise die Mitglieder der nationalen Gemeinschaft erfüllen und leiten, wie er in natürlicher Weise bei den Mitgliedern jener Mutterzelle der Gesellschaft, welche die Familie ist, gefunden werden kann. Nur unter diesen Voraussetzungen werden die großen Prinzipien der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, worauf sich die modernen Demokratien berufen, zu fruchtbarer Auswirkung kommen. Begreift man sie nicht nach der Art und Weise, zu welcher das Naturrecht, das Gesetz d-s Evangeliums und die christliche Tradition anleiten, welche zusammen und einzig ihre wirklichen geistigen Ausgangspunkte und zuständigen AuslegeV sind, so wird man Opfer der verhängnisvollsten Fälschungen werden.

Diese Bemerkung bezieht sich beispielsweise auf den besonderen Fall, der im gegenwärtigen Augenblick die französischen Katholiken bewegt: die Verstaatlichung der Unternehmungen. Unsere Vorgänger und Wir selbst haben wiederholt über die moralisdie Seite dieser Angelegenheit gesprochen. Es wird immer offenbarer, daß solche Nationalisierungen, statt den mechanischen Charakter des Lebens und der gemeinschaftlichen Arbeit abzuschwächen,ihn selbst dann, wenn es sich um erlaubte Nationalisierung handelt, eher zu verstärken geeignet sind. Aus diesem Grunde ist ihr Vorteil für eine wirkliche Gemeinschaft, wie Ihr sie verstehet, sehr fragwürdig.

Wir halten dafür, daß die Einrichtung von korporativen Vereinigungen oder Einheiten auf allen Gebieten der nationalen Wirtschaft nicht nur dem Zweck, welchen Ihr verfolgt, viel besser entsprechen würde, sondern daß dies gleichzeitig auch vorteilhaft für einen bessern Ertrag der Unternehmungen wäre.

Auf alle Fälle gilt das sicherlich überall dort, wo bisher die Zusammenlegung der Unternehmungen und das Verschwinden der kleinen, selbständigen Unternehmer sich nur zum Vorteil des Kapitals und nicht der sozialen Wirtschaft ausgewirkt hat. Es kann übrigens gar kein Zweifel darüber bestehen, daß unter den gegenwärtigen Umständen die korporativen Formen des sozialen und besonders des wirtschaftlichen Lebens praktisch der christlichen Lehre bezüglich der Person, der Gemeinschaft, der Arbeit und des Privateigentums besonders entsprechend sind.

Es ist deshalb von größerer Bedeutung als je, daß heute die Bedingungen für eine solche nationale Gemeinschaft übersichtlich zusammengestellt werden: eine Gemeinschaft, die lebendig und stark, aber doch nicht ausschließlich und gleichmacherisch gegenüber den berechtigten Selbständigkeiten ist, sondern alle Rechte achtet und weit offen hinstrebt auf jene größere Gemeinschaft, welche die Menschheit selbst darstellt.

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