Carlo Masala - © Foto: christophbusse.de

Warum ist Europa kein Imperium?

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Ob Ukraine oder Niger: Der globale Einfluss Europas ist begrenzt. Politikstratege Carlo Masala über die historischen Hintergründe dieser (Ohn-)Macht – und die besondere Rolle Deutschlands und Frankreichs dabei.

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Ob Ukraine oder Niger: Der globale Einfluss Europas ist begrenzt. Politikstratege Carlo Masala über die historischen Hintergründe dieser (Ohn-)Macht – und die besondere Rolle Deutschlands und Frankreichs dabei.

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Es war Anfang April, als der französische Staatspräsident Emmanuel Macron nach seinem China-Besuch weltweit für Aufsehen sorgte. Europa müsse in der Frage von Taiwan (das Peking als Teil der Volksrepublik ansieht) einen „eigenständigeren Kurs“ entwickeln, erklärte er in einem CNN-Interview – gleichsam in Äquidistanz zu Washington und Peking. Die Aussage sorgte für Empörung, insbesondere in den USA. Faktisch ist Europa freilich weit davon entfernt, sich als „dritte Supermacht“ zu etablieren. Auch nicht nach der von Olaf Scholz diagnostizierten „Zeitenwende“ vom 24. Februar 2022. Das zeigt nicht nur das aktuelle Beispiel Niger, wo man sich von der ehemaligen europäischen Kolonialmacht ab- und lieber Russland zuwendet; das zeigte auch die jüngste Konferenz zum Ukrainekrieg im saudi-arabischen Dschiddah, wo Europa nur einer unter vielen blieb – und der Globale Süden seinen Platz am Schachbrett der Macht einforderte.

Carlo Masala, Professor für Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr in München, sieht Macrons Vision einer „Supermacht Europa“ zwar als möglich an – doch die eigene Vergangenheit (insbesondere jene Deutschlands) stehe diesem Ziel entgegen. Aber warum? Der Politikwissenschafter und Historiker Muamer Bećirović, dessen Biografie über Clemens von Metternich im Jänner 2024 erscheint, hat mit Masala für DIE FURCHE gesprochen.

DIE FURCHE: Wir wollen über Europas (Ohn-)Macht sprechen – und dazu in die Geschichte blicken. Zwei Weltkriege lang hat Deutschland versucht, Hegemonie über Europa zu erlangen – was zur Katastrophe führte. Als es darum ging, Deutschland wieder in die europäische Staatengemeinschaft zu führen, zielte die Strategie des damaligen Bundeskanzlers Konrad Adenauer darauf ab, sich unter den Schutz der Amerikaner zu begeben – und im Windschatten der europäischen Einigung Frankreich auszubalancieren, bis man wieder moralisch und wirtschaftlich weitgehend rehabilitiert sei. Wie würden Sie heute diese Maxime beschreiben?
Carlo Masala:
Adenauers Maxime war „Integration durch Kontrolle“. Er ließ Deutschland von Frankreich und den USA durch die Europäische Integration und durch die NATO kontrollieren. Dafür bekam Deutschland seine wirtschaftliche und moralische Wiederherstellung in Europa.

DIE FURCHE: Ist hier ein politisches Kunststück gelungen?
Masala: Das kann man so sehen. In den 1950er Jahren kehrt Deutschland mit dem Wirtschaftswunder wieder auf die europäische Bühne zurück. Bis 1990 sagt man, dass in Europa die Balance zwischen der deutschen Mark und der französischen Atombombe gehalten worden war. Deutschland überragt damals Frankreich ökonomisch bei weitem – doch Frankreich hat die ultimative Waffe. So hält sich in Europa das Gleichgewicht. Beide können auf Augenhöhe um Einfluss am Kontinent ringen. Ab 1973 fällt Deutschland aber immer mehr eine Vermittlerrolle zu. Mit dem Beitritt Großbritanniens beginnt Deutschland zwischen den unterschiedlichen Europavorstellungen Frankreichs, die mehr Europa – aber immer mit dem eigenen Führungsgedanken im Hinterkopf – vor Augen haben, und den skeptischen Briten die Vermittlerrolle einzunehmen, weil die deutsche Europavision zwischen diesen beiden Rändern liegt.

Ab 1960 nimmt Deutschland eine zweite, diesmal sicherheitspolitische Vermittlerrolle zwischen Frankreich und den USA wahr. Charles De Gaulle sagt 1963 bei einem Treffen zu Adenauer: „Herr Bundeskanzler, glauben Sie wirklich, dass die USA bereit sind, die Vernichtung New Yorks für die Befreiung Hamburgs zu riskieren?” Frankreich versucht hier, eine europäische Sicherheitsarchitektur unter französischer Führung zu schaffen, während die USA Europa schön im Rahmen der NATO und nicht einer europäischen Integration festlegen wollen.

DIE FURCHE: Wobei sich dann die Balance deutlich ändert: 1990 stimmt Frankreich der Wiedervereinigung Deutschlands zu – aber nur dann, wenn sich Deutschland unwiderruflich an Europa bindet. Das heißt: Währungsunion, Arbeit an gemeinsamer Außen- und Sicherheitspolitik. Diese Kompromisse mit Frankreich ändern nichts an der Tatsache, dass Deutschland zu diesem Zeitpunkt wieder dabei ist, in Europa dominant zu werden.
Masala: Absolut! Das passiert 1990 mit einer gewissen Verzögerung, weil die neuen Spielräume erst mal mental in die Köpfe der politischen Eliten einsickern. Deutschland beginnt dann mit seiner Wirtschaftskraft immer öfter, eine quasi hegemoniale Politik in Europa zu betreiben. Nicht immer erfolgreich, aber das lässt sich erkennen. Zum Beispiel an der Griechenlandkrise: Da versucht Deutschland seine Vorstellungen in Bezug auf die Rettung Griechenlands durchzusetzen, wird aber dann mit der Gegenmacht Frankreichs und des Südens ausbalanciert. Am Ende kommt ein Kompromiss heraus. Es stimmt aber zweifellos, dass Deutschland nach 1990 beginnt, seine Macht offen auszuspielen.

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