Casablanca – Saualm und zurück: Eine Kärntner Reise

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Ein Kärntner Uni-Professor nahm sich eines Asylwerbers von der Saualm an. Für die FURCHE beschreibt er die Geschichte des erfolgreichen Kulturaustauschs.

Abdel hat seinen Sohn nie in die Arme nehmen können – er war schon in Europa, als der Kleine zur Welt kam und drei Monate später begraben wurde. Ein Bild des Buben hatte er auf dem Desktop meines Notebooks installiert. Mit diesem Bild begann am Dreikönigstag 2009 meine „Reise ins Morgenland“, in die Lebenswelt eines 25-jährigen Marokkaners, den es als Wirtschaftsmigrant nach Kärnten verschlagen hatte, nach der Landung in Lampedusa und eineinhalb Jahren Aufenthalt in Italien. Es war sein siebter Versuch, in Europa eine bessere Zukunft für sich und seine Familie aufzubauen. Er saß neben mir, ohne Aussicht auf ein Bleiberecht, mit der weißen Asylbewerberkarte und der grünen Versicherungskarte.

Es folgten Gespräche in französischer Sprache und sehr bald mein Entschluss, Abdel auf den Weg zurück in seine Heimat vorzubereiten. Diesen Entschluss habe ich gemeinsam mit einer lutherischen Pfarrerin und einer Gruppe von Menschen gefasst, die sich vom 22. Dezember 2008 an bis heute um die Kärntner „Saualpinisten“ kümmern. Im Februar 2009 reiste ich also nach Marokko, zu Abdels Familie in Casablanca, um jene Umgebung kennen- und verstehen zu lernen, in der er seine Zukunft wiederfinden sollte.

Casablanca

Abdels Familie lebt in einer Sozialbauten-Siedlung am Stadtrand, in einer Drei-Zimmerwohnung, zu neunt. Abdel und seine Frau bewohnen ein Zimmer mit seinem kleinsten Bruder, die Mutter teilt mit den älteren, noch kindlichen Geschwistern einen Raum, der Vater mit dem zweitältesten Sohn und einem Neffen einen dritten. An den Wänden stehen Sitz- und Schlafbänke, gegessen wird an einem runden Tischchen im Kreis um eine große, traditionelle Anrichteplatte. An diesem Tischchen saß ich. Abdels jüngerer Bruder übersetzte vom Französischen ins Arabische. Er begleitete mich auch vier Tage durch Casablanca im Bus, mit dem Taxi, auf dem Moped. Er erklärte, ich sah und lernte.

Seit dem 21. September 2009, dem Tag des Fastenbrechens nach dem Ramadan, ist Abdel wieder daheim in Casablanca, im Juli 2010 wird er zum zweiten Mal Vater. Bis dahin hat er, so der Plan, seinen Führerschein und ein kleines Einkommen aus dem Kommissionsverkauf von Kleidungsstücken, die ein befreundeter Schneider anfertigt, und seine Frau eine Friseurinnengrundausbildung. Bis dahin werde ich ein zweites Mal in Casablanca gewesen sein, um mit Abdel und seiner Großfamilie zum zweiten Mal vor Ort die Zukunft zu besprechen. Bis dahin wird er sich auf finanzielle Zuwendungen stützen müssen, denn die Verdienstmöglichkeiten in Marokko sind mehr als bescheiden für jemanden, der sich aus einer Kindheit und Jugend in einer Barackensiedlung herausarbeiten möchte, die Verantwortung für vier jüngere Geschwister und einen zuckerkranken, erblindeten Vater hat. Nur seine Mutter, eine selbstbewusste, kräftige Frau hat ein regelmäßiges Einkommen von 250 Euro monatlich als Reinigungskraft.

Die neun Monate in Österreich hat Abdel dazu genützt, zunächst systematisch Deutsch zu lernen, bei zwei dreiwöchigen Intensivkursen an der Universität Klagenfurt, dann fortgesetzt im mündlichen Rahmen, denn zu Büchern hat er keinen Bezug aufgebaut in seiner mit 17 Jahren abgebrochenen Schullaufbahn.

Helfer Abdel

Er hat im Frühjahr an mehreren Orten Gartenputz gemacht, im Sommer dann Gartenpflege, hat Zäune gestrichen, den Boden in der lutherischen Holzkirche in Moosburg in Kärnten verlegen geholfen und Kinder betreut. Er hat im häuslichen Rahmen gekocht und mit uns Europäern die Zubereitung von traditionellen marokkanischen Gerichten geübt, er hat für neun alkohol- und tabakrauchfreie Monate in meiner Wohnung gesorgt, er hat mich zum Freitagsgebet in die Moschee mitgenommen, mit mir Arabisch schreiben und lesen geübt, und er hat sukzessive die formalen Schritte zur freiwilligen Rückkehr absolviert. Immer wieder mit Ängsten, wie ihn seine Familie wieder aufnehmen wird und ob er nicht doch abgeschoben wird, bevor sein marokkanischer Notpass ausgestellt ist.

Wenn man davon absieht, dass die Gruppe von Kärntnern und Kärntnerinnen, die sich seit zwei Jahren um mehr Menschlichkeit und Toleranz bemüht, vom Landeshauptmann von Kärnten angezeigt wurde, weil sie „Straffällige illegal“ unterbringt und solcherart die öffentliche Sicherheit gefährdet, und abgesehen davon, dass mich jemand anonym wegen vermeinten Verstoßes gegen das Meldegesetz angezeigt hat, und abgesehen von nennenswerten finanziellen Aufwendungen für Kost, Quartier und Ausbildung, die aus Spenden und Privatkassen bestritten werden mussten, gab es auch viel Positives in diesen neun Monaten. Eine verständnisvolle Mitarbeiterin des Flüchtlingsreferats des Landes Kärnten, einen geduldigen Beamten der Fremdenpolizei der Bezirkshauptmannschaft Klagenfurt Umgebung und einen umsichtigen Mitarbeiter der Botschaft des Königreichs Marokko in Österreich.

Keine Einarbeitung in eine nicht-mitteleuropäische Kultur war seit Beginn meines Studiums der Russistik vor 38 Jahren und meinem Studienjahr in Georgien und Russland von 35 Jahren dichter an Erfahrungen als die Zeit mit Abdel in Kärnten und mein Besuch bei seiner Familie in Casablanca. In diesem Zusammenhang sind die Mühen und Aufwendungen des vergangenen Jahres eine gute Schule um zu verstehen, was es heißt, „auf dieser Welt zu leben“: Ein Ladebagger um 15.000 Euro könnte eine bald zehnköpfige Familie aus der Armut ziehen, und darum werde ich mich mit Hilfe der Wirtschaftskammer Österreich und ihrer Vertretung in Casablanca zu bemühen versuchen.

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