Es ist weder christlich noch sozial
GASTKOMMENTAR. Einen "Sündenfall der ÖVP" diagnostizierte Parteidissident Karl Trischler: Die Partei habe sich unter Sebastian Kurz weit von ihren ursprünglichen Werten entfernt und ihre Prinzipien verraten. Ein katholischer Publizist hält dagegen.
GASTKOMMENTAR. Einen "Sündenfall der ÖVP" diagnostizierte Parteidissident Karl Trischler: Die Partei habe sich unter Sebastian Kurz weit von ihren ursprünglichen Werten entfernt und ihre Prinzipien verraten. Ein katholischer Publizist hält dagegen.
Als der spätere Nobelpreisträger Friedrich August von Hayek angesichts von Faschismus und Kommunismus 1944 sein epochales Werk "Der Weg zur Knechtschaft" herausbrachte, widmete er es "den Sozialisten in allen Parteien". Der hellsichtige Ökonom wusste, wie stark in demokratischen Systemen die Versuchung zum Stimmenkauf durch Wahlgeschenke ist, nicht nur für sozialistische Parteien. Und wenn die wirtschaftliche Entwicklung Geldgeschenke nicht ermöglicht, dann kann man durch Umverteilung und Schuldenmachen Stimmen maximieren. Das hat hierzulande seit Bruno Kreisky bestens funktioniert, auch unter tatkräftiger Mitwirkung der ÖVP, die durch konsequentes Nachgeben bei gleichzeitigem Aufgeben konservativer und christlich-sozialer Werte zunehmend Wähler verlor.
Debatte um katholische Soziallehre
Sebastian Kurz hat erkannt, dass dieser Weg in die Bedeutungslosigkeit führen muss und es gewagt, ein Gegenmodell zum sozialistischen Verteilungsstaat zu präsentieren und altmodische Werte wie Fleiß, Anstand, Eigenverantwortung, Eigentum und Freiheit wieder in den Vordergrund zu rücken. Das irritiert natürlich die "Sozialisten in allen Parteien", wie auch Herrn Karl Trischler, der als "langjähriges ÖVP-Mitglied" einen "Sündenfall" seiner Partei ortet, weil sie christlich-soziale Prinzipien aufgegeben habe.
In der Tat hat sich die katholische Soziallehre im Laufe der Jahrzehnte verändert und gibt es heute ein breites Spektrum der Meinungen. Es sei an den Beitrag von Martin Rhonheimer in der FURCHE (Nr. 36/16) erinnert, in dem der Professor für Ethik und politische Philosophie an der Päpstlichen Universität Santa Croce die "wohlstandschaffende Dynamik der Marktwirtschaft" betonte und trocken resümierte: "Umverteilung schafft keinen Wohlstand". Er verwies auch auf die ältere Tradition der katholischen Soziallehre, die "kompromisslos das Privateigentum und damit die individuelle Freiheit gegen alle Formen des Sozialismus" verteidigte. Von diesen Positionen haben sich viele mittlerweile wegbewegt, vor allem auch in Österreich, was Rhonheimer heuer in der Academia beklagte: "Es gibt eine Neigung der katholischen Soziallehre, schnell auf Distanz zur Marktwirtschaft zu gehen. Da herrscht die Vorstellung, verantwortlich für die Schaffung von Arbeit seien Regierungen und nicht der Markt."
Wenn heute ein unersättlicher Staat selbst mit steigenden Einnahmen nicht das Auslangen findet, die Verschuldung mit 292 Milliarden Euro bei über 80 Prozent des BIP steht, die Steuerquote extrem hoch ist und wir Umverteilungsweltmeister sind (WIFO-Studie 2016), scheint die Einleitung einer Wende angebracht.
Es ist weder christlich noch sozial, Menschen abhängig von Wohlfahrtsleistungen zu halten oder sie durch eine hohe Abgabenlast zu hindern, selbst Vorsorge zu treffen, etwa auch durch Schaffung von Wohnungseigentum. Es ist weder christlich noch sozial, immer mehr Schulden anzuhäufen und damit künftige Generationen zu belasten. Es ist weder christlich noch sozial, das Anforderungsniveau in den Schulen immer weiter abzusenken, um eine vermeintliche "Gleichheit" herzustellen. Es ist weder christlich noch sozial, eines der teuersten Gesundheitssysteme zu erhalten, in dem laut OECD 20 Prozent der jährlichen Ausgaben von 35 Milliarden Euro (also sieben Milliarden!) jährlich verschwendet werden (wie viele echte soziale Nöte könnte man damit lindern!). Es ist auch weder christlich noch sozial, in unbegrenzter Zahl Migranten aus vormodernen Kulturen aufzunehmen, deren Integration größte Probleme bereitet.
Man sollte der neuen Regierung die Chance geben, diese Missstände zu benennen und eine Trendwende einzuleiten. Mehr wird realistischer Weise nicht möglich sein, denn die Beharrungskräfte der Besitzstandswahrer sind bekanntlich enorm. Aber es muss zumindest versucht werden, sonst fährt unser Sozialsystem demnächst gegen die Wand.
Sebastian Kurz hat es gewagt, ein Gegenmodell zum sozialistischen Verteilungsstaat zu präsentieren und Werte wie Fleiß, Anstand, Eigenverantwortung und Freiheit wieder in den Vordergrund zu rücken.
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