Es war kurz vor unserer Nationalratswahl, als ich an dieser Stelle einige Unterschiede im medialen Vorwahlkampf von Deutschen und Österreichern notiert habe. Auffallend vor allem: Bemühte Sachlichkeit dort - süffisante Untergriffigkeit hier.
Mein Fazit: Demokratie muss vom Grundvertrauen leben. Und von der Hoffnung, dass es - bei aller notwendigen Wachsamkeit - letztlich zum Besseren hingeht.
So "abgesandelt“ ist dieses Land im Europa-Vergleich ja auch wieder nicht.
Inzwischen sind zehn Tage vergangen - und noch einmal sei ein Vergleich mit unseren Nachbarn gewagt, die uns mit ihrer Bundestagswahl immerhin eine Woche voraus waren.
Was in Berlin inzwischen geschehen ist: Ein Gesprächsmarathon in allen Parteien. Ein Auswechseln von Köpfen. Ein Nachdenken über künftiges Regieren. Christdemokraten und SPD haben einander schon getroffen. CDU und Grüne tun das heute, Donnerstag. "Sondierungsgespräche“ heißt das - um gemeinsame Schnittmengen zu erkunden.
Und bei uns: Noch am Wahlabend - noch ehe alle Stimmen ausgezählt waren - hat der Bundespräsident verkündet, er wünsche sich wieder Rot-Schwarz. Seither trommelt es die SPÖ-Spitze - auch, um alle parteiinternen UrabstimmungsWünsche zu übertönen?
Um nicht missverstanden zu werden: Das Wahlergebnis lässt kaum Spielraum für Neues (von Personalia abgesehen). Mögliche Alternativen zerbröseln an unseligen FPÖ-Wortmeldungen und an peinlichen Stronach-Pannen. Und im übrigen haben Häupl/Pröll die klein gewordene "Große“ längst vereinbart.
Den Boden für Neues aufbereiten
Trotzdem muss ein Durchatmen erlaubt sein. Wahlkämpfe sind, jeder weiß es, Zeiten herabgesetzter Intelligenz und überhitzter Emotionen - notwendig und unsäglich zugleich.
Jetzt aber ist die Wahl geschlagen und also die Zeit gekommen, um Wunden zu kühlen, Differenzen (auch parteiintern) zu überbrücken und um den Boden für Neues aufzubereiten. Warum dann diese Eile?
Die Umfragen sagen uns: Verärgerung und Enttäuschung mit der Koalition alten Stils waren für eine Mehrheit der Wähler ein wichtiges, ja zentrales Wahlmotiv. Der Wunsch nach Erneuerung sitzt ganz tief. Wozu dann der Zeitdruck - nur um schnell so weiter zu machen wie bisher? Gibt es in der SPÖ nicht einigen Diskussionsbedarf - sogar über die künftige Haltung zur FPÖ? Gibt es in der ÖVP nicht bis an die Spitze offene Differenzen über die Fortsetzung des Immer-Gleichen? Gibt es nicht auch Gründe, manchem FPÖ-Argument zuzuhören - und sich von Grünen und/oder Neos inspirieren zu lassen?
Fünf lange Jahre der Bewährung stehen bevor - mit gewaltigen Brocken: Demokratiepaket, Steuerreform, Bildungsreform usw. Jetzt, vielleicht nur jetzt, ist Zeit, um miteinander zu reden, um Anderen zuzuhören, um Vertrauen zu bilden. Vor allem aber, und um den Wählern zu zeigen, dass hinter jeder Wahl eine Chance wartet, die Demokratie voranzubringen!
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