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Wirtschaftlich und sozial

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Die neue ÖVP-Mannschaft in der Regierung hat starke sozialpolitische Initiativen angekündigt. Gleichzeitig wurde aber auch betont, daß die wirtschaftliche Basis gesichert werden müsse, welche die unerläßliche Voraussetzung jeder sozialen Maßnahme bildet. Die Regierung solle daher auch die gesetzlichen Grundlagen für ein verstärktes wirtschaftliches Wachstum schaffen.

Die enge Verknüpfung zwischen Wirtschafts- und Sozialpolitik bedeutet keinen Widerspruch, sondern die nüchterne Erkenntnis, daß eine erfolgreiche Sozialpolitik nur auf dem Boden einer gesunden Wirtschaft gedeihen kann. Jeder Versuch, Wirtschaft und Sozialreform gegeneinander auszuspielen, muß zwangsläufig zum Zusammenbruch beider führen.

Diese Feststellung mag nach Binsenwahrheit klingen, ist aber leider noch immer nicht so selbstverständ-

liches geistiges Gemeingut, wie das im Interesse gerade des sozialen Fortschritts zu wünschen wäre. Immer wieder werden Gegensätze konstruiert, wo nur ein Miteinander fruchtbar sein kann, immer wieder werden falsche Alternativen aufgestellt. Wenn man etwa einer österreichischen Partei die Gretchenfrage stellt, ob sie Wirtschafts- oder Volkspartei sein wolle, so schafft man hier künstlich einen Widerspruch, der keine Basis in der Realität hat.

Glücklicherweise gewinnt heute (im Gegensatz zum 19. Jahrhundert) eine universalistische Denkweise immer mehr an Boden, die nicht ein Gegeneinander von Wirtschaftlichem und Sozialem, sondern ein fruchtbares Miteinander anstrebt. Diese Einstellung zeichnete sich von allem Anfang an in den päpstlichen Sozialenzykliken ab, und der Realismus dieser Haltung wird heute auch vielfach von außenstehenden Fachleuten

anerkannt und allgemein bestätigt. Leider aber ist diese wirklich moderne Haltung noch nicht zum Allgemeingut des wirtschaftlichen Denkens geworden.

Die mangelnde Unterscheidung zwischen tatsächlichen oder vermeintlichen Gruppenvorteilen und solcher wirtschaftlicher Maßnahmen, die im Interesse der Allgemeinheit unerläßlich sind, tritt uns immer noch im Denken einzelner Sozialreformer entgegen. Sie führt schließlich dazu, daß es einer Partei vorgeworfen wird, wenn sie jede soziale Maßnahme daraufhin überprüft, welche Wirkung sie auf die Wirtschaft hat. Es wird daraus sofort eine Bindung dieser Partei an kommerzielle Interessen abgelesen. Als ob ein echter sozialer Fortschritt ohne Sicherung der wirtschaftlichen Voraussetzungen möglich wäre!

Gerade die führenden katholischen Soziallehrer haben immer die Not-

wendigkeit einer Koordination von wirtschaftlichen oder sozialen Maßnahmen betont. So etwa schreibt Oswald von NeU-Breuning im Hinblick auf zulässige und unzulässige Lohnforderungen:

„Es geht nicht an, einfach zu probieren und die bei Vollbeschäftigung starke Stellung der Gewerkschaften so lange auszunützen, bis es im Gebälk der Wirtschaft zu knistern anfängt; dann erst einzuhalten, wäre zu spät. Sowohl die Unternehmer als auch die Gewerkschaften haben sehr ernste Überlegungen anzustellen, müssen sich immer wieder des Instrumentes der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung bedienen, um die unter konjunktureller Rücksicht zuträgliche Höhe der Löhne zu ermitteln.

Konjunkturpolitik ist ohnehin eine sehr heikle Angelegenheit, weil ständig die drei... so schwer miteinander zu vereinbarenden Ziele eingehalten werden müssen: möglichst hohe und stetige Beschäftigung (in einem Wort .Vollbeschäftigung'), stabiles Preisniveau (insbesondere stobile Lebenshaltungskosten) und ausgeglichene Leistungsbilanz ...

Alle hier behandelten Aufgaben — höherer Anteil der Arbeitnehmerschaft am Sozialprodukt, Erhöhung der sozialen Renten und ihre Verdoppelung mit dem Anstieg der Löhne und mit dem volkswirtschaftlichen Fortschritt, Arbeitszeitverkürzung mit Lohnausgleich, Sicherung der Vollbeschäftigung — und viele andere stehen gleichzeitig zur Lösung an... Alle Überlegungen und Berechnungen sind unvollständig, solange nicht alle zur Zeit anstehenden Probleme einbezogen sind. Dies gilt für die hohe Politik von Parlament und Regierung; das gilt ebenso von

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