Die Herrschaft des Volkes

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Die Diskussion um ein Erstaufnahmezentrum für Asylwerber hat auch erneut die Frage nach direkter Einbeziehung des Volkes in politische Entscheidungen aufgeworfen. Aus diesem Anlass: Ein Plädoyer für die repräsentative Demokratie.

Kann es ein Zuviel an Demokratie geben? Demokratie, die Herrschaft des Volkes – nicht eines durch Abstammung und/oder Gottesgnadentum legitimierten Autokraten –, ist die zentrale Errungenschaft der Moderne. Erst dadurch wird Politik als die Gestaltung des Gemeinwesens und der öffentlichen Ordnung auch zu einer öffentlichen Angelegenheit, einer res publica.

Demokratisierung war ein Schlagwort der Achtundsechziger-Bewegung – nicht nur die Demokratie selbst sollte demokratisiert werden, sondern alle Lebensbereiche; inzwischen ist längst alles – zumindest der Theorie nach – „demokratisiert“, von der Bildung übers Reisen bis zur Kulinarik. Das bedeutet mehr Chancen für alle – und das ist gut so. Das ist aber auch anstrengender für alle Beteiligten und setzt ein hohes Maß an individueller Verantwortung voraus – und daran hapert es, wie man weiß, gelegentlich.

„Ihr Recht geht vom Volk aus“

Was die Politik betrifft, liegt aber nicht nur hierin das Problem, sondern in einem habituellen Hang zu Kurzschlüssen im politmedialen Gefüge. Am signifikantesten zeigt er sich in der allgemeinen Rezeption von Artikel 1 der Österreichischen Bundesverfassung: „Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus“, steht dort. In der kronenzeitungsbasierten gängigen Lesart heißt das freilich schlicht: „Alles Recht geht vom Volk aus.“ Für eine Politik, die diese Logik internalisiert hat, folgt daraus: Je mehr Volk, desto besser; oder genauer noch: Je mehr Volk (demos), desto mehr Herrschaft (kratia) – nämlich die eigene: Die Orientierung am Volkswillen soll die Wiederwahl sichern. Diese Sicht der Dinge verbindet Werner Faymann mit Gerhard Dörfler, und das ist ja auch schon was.

In Wahrheit schafft sich Politik damit, ganz demokratisch, selbst ab. Sie begibt sich solcherart ihrer ureigensten Aufgabe: des Setzens von Rahmenbedingungen im Sinne eines Ausgleichs von Interessen und konkurrierenden Freiheitsansprüchen. (Über die Ausgestaltung dieser Rahmenbedingungen gibt es freilich unterschiedliche Ansichten, die im Idealfall Gegenstand des politischen Diskurses und Wettbewerbs sind, aber darum geht es hier nicht.) Diese Aufgabe ist aus guten Gründen eine eigene Profession, und die Tatsache, dass nicht alle Repräsentanten des politischen Systems in Regierung und Parlament professionell agieren, spricht gegen die Auswahlmechanismen des Personals, aber nicht gegen das Prinzip.

Das Volk jedenfalls darf und soll zurecht von der Politik jene Kenntnis und Expertise in Sachfragen erwarten, die der Einzelne nicht haben muss und vielfach auch gar nicht haben kann.

Noch wichtiger ist aber etwas anderes: Politik im skizzierten Sinne ist ein unglaublich heikles Geschäft. Sie braucht Leidenschaft und Entschiedenheit in der Sache, aber einen kühlen Kopf, eine „kühle Distanz“ zu den Dingen, wie Ludwig Adamovich es einmal formuliert hat. Das ist natürlich schwierig zu vermitteln in einer aufgeheizten, überhitzten Gesellschaft, in der jeder seine momentane persönliche Befindlichkeit für die ultima ratio hält und daher auch völlig ungeniert nach außen trägt.

Illusion einer Politik ohne Härten

Man muss nicht die Schweizer Minarettabstimmung bemühen, um die Grenzen des Plebiszitären zu erkennen: Jede Sachfrage lässt sich durch Entwerfen von Bedrohungsszenarien oder durch Herunterbrechen auf Einzelschicksale „popularisieren“ – und jede Reform, jede politische Entscheidung damit letztlich zu Fall bringen. Oder wollen Sie jemandem wehtun oder etwas wegnehmen? Eben.

Eine Politik aber, und sei es die denkbar gerechteste, die keine Härtefälle produziert, gibt es nicht, auch wenn Politiker zunehmend bestrebt sind, diese Illusion zu nähren. Solcherart wird Politik freilich selbst zum Härtefall: weil sie eine Zumutung für urteilsfähige, mündige Bürger bedeutet, vor allem aber weil sie den Gegnern der Demokratie in die Hände spielt.

* rudolf.mitloehner@furche.at

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