Klaus Heinrich - © Foto: imago images / Christian Thiel

Klaus Heinrich: „Sucht nach Sog“

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Er beschäftigte sich zeitlebens mit Religion und Mythen – auch als diese von der Philosophie diskreditiert wurden. Erinnerung an den Religionsphilosophen Klaus Heinrich.

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Er beschäftigte sich zeitlebens mit Religion und Mythen – auch als diese von der Philosophie diskreditiert wurden. Erinnerung an den Religionsphilosophen Klaus Heinrich.

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Der „Harmonieglaube der Aufklärung“ löst sich allmählich auf und damit auch das Vertrauen in die Vernunft. Dieser Verlust betrifft das Individuum und die Gesellschaft. Die Zivilisation droht im „Sog der Selbstzerstörung“ unterzugehen, in dem die irrationalen Mächte des Menschen wie Fanatismus, grenzenloser Hass und Gewaltbereitschaft dominieren. So lautet eine zentrale These des Religionsphilosophen Klaus Heinrich, der am 23. November verstorben ist. Klaus Heinrich zählte zu den bedeutendsten Gelehrten im deutschsprachigen Raum. Er befasste sich mit der Religion und dem Mythos, die von der Philosophie diskreditiert oder verdrängt wurden. Er sprengte den traditionellen Vernunftbegriff; sein Denken richtete sich auf eine erweiterte Vernunft, die Triebbedürfnisse, Wünsche und die Sehnsucht nach einer transzendenten Sphäre miteinbezog, Ähnlich wie Hans Blumenberg oder Ernst Cassirer sah Heinrich die mythischen Erzählungen als eigenständige, kulturelle Ausdrucksformen, die etwas sichtbar machen, was in den traditionellen philosophischen Konzeptionen bereits liquidiert wurde.

Heinrich ortete mythische Reste im Alltagsbewusstsein der Menschen, die in Form von irrationalen Grundannahmen auftauchen und das Verhalten der Menschen in unterschiedlichen Ausprägungen beeinflussen. Dieses religiöse und mythologische Residuum müsse analysiert werden – so lautete die Forderung von Heinrich. Dabei verstand er sich keineswegs als dionysischer Nachfolger von Friedrich Nietzsche, der von einem Zustand träumte, „wo der blumenbekränzte Wagen des Dionysos von Panthern und Tigern gezogen wird“.

Mitgründer der Freien Universität Berlin

Klaus Heinrich wurde am 23. September 1927 in Berlin geboren. Im Alter von 15 Jahren erfolgte die Einberufung als Luftwaffenhelfer: 1943 wurde er wegen Wehrkraftzersetzung angeklagt. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs studierte Heinrich vorerst an der unter sowjetischer Militäradministration stehenden Friedrich­Wilhelms­Universität Philosophie, Psychologie, Theologie, Kunst­ und Literaturgeschichte. Bald geriet er in Konflikt mit den stalinistischen Universitätsbehörden und wechselte nach Westberlin, wo er an der Gründung der Freien Universität mitwirkte. 1964 habilitierteer sich mit der Schrift „Versuch über die Schwierigkeit nein zu sagen“. Ab 1971 lehrte Heinrich bis zu seiner Emeritierung 1995 amInstitut für Religionswissenschaftder Freien Universität Berlin. Legendär waren die Vorlesungen des Gelehrten in dem überfüllten Hörsaal; Heinrich sprach frei, ohne Notizen über verschiedene Wissenschaften.

„Es gelang ihm, vor aufmerksamen Hörern jeglicher ideologischen Couleur zu reden und angehört zu werden“, notierte die ehemalige Studentin und heutige Religionswissenschaftlerin Caroline Neubaur, „er wirkte therapeutisch, ohne im mindesten ein Guru zu sein, sondern ein – Freud verpflichteter – aufgeklär­ ter und selbst aufklärender Mythologe.“ Heinrich verstand die Religionswissenschaft als Kritik der Philosophie. Seine Ausgangsthese bestand darin, dass die Philosophie einst als Konkurrentin der alten Religionen angetreten sei, die ein Modell der Rationalität ausbildete, das gegen „das Opium des Volks“ mobilmachte. Bereits bei Herodot findet sich der Hinweis, der dem Staatsmann Solon zugeschrieben wird, dass das wahre Glück darin bestehe, eine philosophische Haltung auszubilden – also sich von den irrationalen Mächten der Religion und der Mythen zu distanzieren. In seinem Werk „Parmenides und Iona“ verwies Heinrich auf die Apologeten der rationalen Helle, die die im Dunkel der Höhle verharrenden Menschen aufforderten, sich aus der von den Religionen und Mythen verursachten Unmündigkeit zu befreien, um selbstbestimmt denken und handeln zu können. Die taghelle Vernunft wurde zum Fetisch der Philosophen, die in einem eigenen „szientifischem Jargon, der den jeweiligen Gewissen­Beruhigungsdisziplinen entlehnt war“, beschworen und gefeiert wurde, wie Heinrich in der Einleitung zu seiner Vorlesung „arbeiten mit Ödipus“ betonte.

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