Eindeutige Doppelnamen

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Carl von Linné schuf ein praktikables Ordnungssystem für Tiere und Pflanzen, das sich bis heute bewährt hat. Eine Lobrede zum 300. Geburtstag von Lothar Bodingbauer.

Geboren wurde Carl von Linné vor genau 300 Jahren in Südschweden, am 23. Mai 1707, gerade als Isaac Newton in England starb und Exkursionen von Forschern rund um die Welt im vollen Gang sind. Die Fundstücke werden zurück an die Universitäten und Akademien gebracht, in Kisten und Säcken, in Skizzen und Reisetagebüchern. Diese Funde brauchen einen Namen. Sie müssen geordnet werden. Linné sortierte die heimische Natur und die fremde. Fast die gesamte europäische Flora und große Teile der Fauna wurden von ihm beschrieben.

Göttliche Ordnung

Er beendete das damalige Namenschaos, indem er 18.000 europäische Pflanzennamen auf nur etwa 3000 reduzierte und ein System für die Vergabe der Namen entwickelte. Die zwanzig oder mehr verschiedenen Bezeichnungen für den Feldhasen ersetzte er durch einen Doppelnamen: Lepus europaeus, und - revolutionär für diese Zeit - er ordnete den wissenden Menschen, den Homo sapiens, in das Reich der Affen ein, und nicht als Bindeglied der irdischen Schöpfung zu den Engeln. Alles, sagte er dennoch, alles sei Teil eines göttlichen Plans, jedes Stück der Natur sei Teil einer Ordnung, die es zu finden gelte.

Linné schuf 24 Klassen von Pflanzen, in die er jede einzelne einordnete. Das Kriterium dafür ist bestechend einfach und auch heute für jedermann zugänglich: die Anzahl und Anordnung der Staubfäden und Stempel in den Blüten, die männlichen und weiblichen Geschlechtsorgane. Linné selbst erkannte, dass das kein natürliches System ist. Diese Klassen reflektieren nicht, wie die Arten verwandt sind. Für jeden, der sich mit der Natur beschäftigt, ist diese erste Grundordnung jedoch ein Segen.

Kurz und bündig

Sein Hauptwerk, die Systema Naturae, veröffentlichte er 1735. In der ersten Auflage enthielt es nur 10 Folioseiten, während die 13. Auflage, 35 Jahre später, schon aus mehr als 3000 Seiten bestand. Der eigentliche Beginn des linnéschen Namenssystems ist 1753 mit seinem Buch Species planetarum anzusetzen, in dem er alle bekannten Arten des Pflanzenreiches publizierte, und drei Jahre später, in der zehnten Auflage der Systema Naturae veröffentlichte er auch die Namen aller ihm bekannten Tiere.

Vor seiner Zeit wurden die Arten durch eine lange Aufzählung ihrer Eigenschaften benannt. Zum Beispiel hieß das Buschwindröschen: Anemone seminibus acutis foliolis incisis caule unifloro, und das bedeutet: Anemone mit spitz zulaufenden Samen, eingeschnittenen Blättern und einblütigem Stiel. Der neue Name hebt die Unterschiede hervor: Anemone nemorosa, die Anemone des Waldes, im Gegensatz etwa zur Anemone alpina. Die - ja, und jetzt sind wir bei einem Problem, die Alpen-Kuhschelle. Die Anemone alpina wird nämlich heute nicht mehr den Anemonen zugerechnet, sondern der Gattung der Kuhschellen. Pusaltilla alpina heißt sie nun. Ihr alter Name ist als Echo gleichsam, als Synonym geblieben.

Hierarchisch bestimmt

Die Lebewesen werden in Gruppen sortiert, die einem hierarchisch geordneten Kategoriensystem zugeordnet werden. Je weiter oben in der Hierarchie, desto abstrakter. Die unterste Stufe bildet die konkrete Art. Zum Beispiel: das Buschwindröschen. Darüber: die Gattung - Windröschen, aus der Familie der Hahnenfußgewächse, die zur Abteilung der Bedecktsamer gehört, aus der Überabteilung Samenpflanzen, dem Unterreich der Gefäßpflanzen und - ganz oben in der Hierarchie - aus dem Reich der Pflanzen.

Sein Ordnungssystem, so schrieb Linné, sollte so einfach sein, dass eine Art ohne die Hilfe eines Lehrers identifiziert werden kann. Gerade deshalb wird es heute weltweit verwendet, von allen, die praktisch mit Tieren und Pflanzen arbeiten, handeln und forschen.

L. für Linné

In jedem Botanischen Garten der Welt befinden sich unzählige Pflanzen, die im Namensschild ein L. führen. Dieses L. steht für Linné. Man kann daran erkennen, dass Carl von Linné diese Pflanze als erster wissenschaftlich beschrieben hat. Ähnlich dem Pariser Urmeter befindet sich unter vielen anderen auch das Ur-Buschwindröschen in einem Tresor im schwedischen Uppsala, jener Universitätsstadt, wo Linné den Großteil seines Lebens verbrachte. Sie wurde als "Typusexemplar" getrocknet und gepresst und mit einer genauen Beschreibung versehen.

Die heutige Taxonomie hat die Linnéschen Grundlagen weiterentwickelt und verfeinert, sie versucht die Arten nach inneren Kriterien zu verbinden, nicht bloß nach der äußeren Erscheinungsform. Die Evolutionswissenschaftler arbeiten mit DNA-Analysen, Computermethoden, Matrizen und Wahrscheinlichkeiten.

Namen auf DNA-Basis?

Eine völlig neue Taxonomie - der so genannte Phylocode, ein Strichcode des Lebens auf DNA-Basis, kommt derzeit über seine Kinderschuhe nicht hinaus. Nicht zuletzt durch seinen Ansatz, für alle Arten völlig neue Namen zu vergeben.

Die klassische Taxonomie nach Linné hat darüber hinaus einen Vorteil: Sie gilt als äußerst stabil, denn wissenschaftliche Ansichten über Verwandtschaftsverhältnisse können sich weitaus schneller wandeln als die äußeren Erscheinungsformen, jene Kriterien, nach denen die Arten ursprünglich geordnet wurden.

Allen Methoden gemein ist, dass sie einen Baum des Lebens zeichnen wollen. Ist er denn wirklich ein Baum? Wahrscheinlich nicht, zumindest bei den feinen Ästen. Wenn man bei den Mikroben schaut, bei Bakterien und ähnlichen Lebewesen, dann gibt es einen kontinuierlichen Gen-Transfer zwischen verschiedenen Arten, es gibt Viren, die Gen-Sequenzen übertragen, gleichsam über den ganzen Platz. Es sieht auch danach aus, dass horizontaler Gen-Transfer zwischen Pflanzenarten öfter vorkommt, als bisher gedacht. Statt eines verzweigenden Baumes des Lebens müssen wir heute mehr von einem Netz sprechen, zumindest in bestimmten Gebieten.

(R-)Evolutionäre Gedanken

Als Linné mit seiner Systematik begann, dachte er, dass alles bereits erschaffen war, und alle Arten bereits fertig. Aber bevor er starb, war er überzeugt, dass eine Art von Evolution vor sich geht. Er konnte nicht benennen, wie. Aber er war überzeugt, dass "etwas" vor sich geht.

Was das Alter des Planeten betrifft, war er überzeugt, dass er viel älter ist, als man bisher gedacht hat, wenn man das Alter nur von der Bibel übersetzt. Er bestieg einmal einen Berg in Schweden, einen Berg mit vielen abgegrenzten Schichten. Nachdem er sie sorgfältig beschrieben hatte, sagte er, es wäre dumm zu denken, dass die Steine über den anderen Schichten zur selben Zeit erschaffen worden seien wie die anderen darunter. Es gab einmal ein Meer hier, mit Tieren darin, die es heute nicht mehr gibt, sie sind aber in dieser Schicht. Darüber sieht man viel Sand, da war ein Fluss mit Sandschichten. Darüber gibt es wieder andere Schichten mit vielen eingeschlossenen Pflanzen. Was man über all diese Schichten herausfinden kann, ist, dass die Entstehung der Erde ein Produkt der Zeit ist.

Verloschene Spuren

Linné schuf wertvolle Grundlagen für Charles Darwin. Er schrieb: "Mir wird schwindlig, wenn ich auf diesen Höhen stehe und hinunterschaue durch die Zeitalter und sehe, wie Klangwellen gleich, die fast verloschenen Spuren einer früheren Zeit, die heute nur noch flüstern kann, und alles andere von damals ist bereits still."

Charles Darwin wurde für seine Evolutionstheorie gescholten und gebeutelt, seine Ideen wurden von Rassisten missbraucht. Mit Carl von Linné ist das bis heute nicht geschehen. Für die Schweden ist er ein Heiliger. Sein System der Namensvergabe ist, so scheint es, ohne Tadel, jeder kann damit arbeiten und ableiten, was auch immer er kann und will.

Der Autor ist Radiojournalist, Physiklehrer und ehemaliger Kakteenzüchter.

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