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Imponierpädagogik...

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Die Schulreformkommission ist in den letzten Monaten mit ihren Arbeiten gut vorangekommen. Umfassendere konkrete Ergebnisse liegen noch nicht vor. Vielmehr ist man zum Teil noch im Stadium von Vorüberlegungen. Das ist kein Nachteil. Eine Schulreform braucht ihre Zeit. Im Zusammenwirken der beteiligten Gruppen ist jedenfalls wertvolle Arbeit geleistet worden. Bei dem im ganzen positiven Urteil über die bisherigen Arbeiten und Arbeitsformen seien aber doch einmal auch einige Sorgen vorgetragen.

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Die Schulreformkommission ist in den letzten Monaten mit ihren Arbeiten gut vorangekommen. Umfassendere konkrete Ergebnisse liegen noch nicht vor. Vielmehr ist man zum Teil noch im Stadium von Vorüberlegungen. Das ist kein Nachteil. Eine Schulreform braucht ihre Zeit. Im Zusammenwirken der beteiligten Gruppen ist jedenfalls wertvolle Arbeit geleistet worden. Bei dem im ganzen positiven Urteil über die bisherigen Arbeiten und Arbeitsformen seien aber doch einmal auch einige Sorgen vorgetragen.

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Eine Hochleistungszivilisation verfällt leicht dem bewußten oder unbewußten Irrtum, daß das Erzie-hungs- und Unterrichtswesen in ihr und für die Vorbereitung auf das Leben in ihr sehr pragmatisch, utilitaristisch auszurichten oder aufzubauen sei. Unserem Zeitalter mit seinen Bedrängnissen liegt der Nützlichkeitsaspekt. Seine Beachtung darf sicherlich bis zu einem gewissen und nicht geringen Grad gestattet werden. Doch, so stellen wir zunächst einmal die Frage: Sollte nicht auch wieder dem „Nützlichen“, das heißt dem Nur-Nützlichen, entgegengewirkt werden? In Erziehung und Bildung kommt es nicht nur auf die Abrichtung auf die „Praxis“ hin an. Oder die Fragestellung auch noch etwas anders: Sollte, müßte nicht dem die Zeit prägenden und zu ihrer äußeren Bewältigung verhelfenden

rationalistischen Element das Emotionale sehr bewußt entgegen-oder zumindest zur Seite gestellt werden? Kommt nicht, um es anders zu sagen, das zum außerberuflichen Leben Nützliche, das „Überpraktische“, vielleicht zu kurz? Unmittelbare pragmatische Ausrüstung für die reale Welt, so meinen wir, ist zu wenig. Mein verehrter unmittelbarer Fachkollege Karl Wolf warnt immer wieder vor einem „verkürzten Bildungsbegriff“, und ich fühle mich hierin mit ihm in Übereinstimmung. (Karl Wolf wendet sich gegen die „Verwitterung des Bildungsbegriffes“. So schrieb er kürzlich: „Es besteht heute die Tendenz, den Bildungsbegriff auf das Intellektuell-Rationale und auf das Praktisch-Nützliche zu verengen.“)

Diese erste Mahnung sei zunächst

vor allem in bildungsinhaltlicher Hinsicht ausgesprochen. Ein zweites: Bildung steht immer im Spannungsfeld von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Wenn früher zu sehr eine historische Bildung betrieben wurde, so droht nunmehr das andere Extrem einzutreten. Fortschritts- und Zukunftsbewußtsein sollen gewiß Agens der Schulreform sein. Die Tradition soll daneben beachtet werden, allerdings keine verklemmte oder zurechtgebogene Tradition, sondern eine, die sich auf die Gegenwart hin reflektierend versteht und die so fruchtbar sein kann. Kurz gesagt: Die Schulreform muß die rechte Mitte zwischen Historismus und Futurismus suchen und zu halten bemüht sein. Das Gegenteil wirkt nämlich lähmend. Ein drittes. Es besteht die leise Unruhe, daß zu sehr nur an eine Wissensvermittlung um der Anwendung dieses Wissens loillen gedacht wird. Die Vorstellung von der „Schule als Betrieb“, in dem mit Hilfe produktiver Faktoren (Lehrer, Schüler sowie Lehr- und Lernmittel) immaterielle Güter (Wissen, Fertigkeiten, Einstellungen, Dispositionen usw.) erzeugt werden, braucht nicht als zu trivial für derartig hehre Bereiche, wie sie jene von Erziehung, Bildung,

Unterricht sind, von vornherein abgelehnt werden. Sie kann in mancher Beziehung bejaht werden und hilft sicherlich hinsichtlich der notwendigen Rationalisierung des Unterrichtswesens, in dem, was als bildungsökonomische Angelegenheit betrachtet wird, weiter. Ich gehe sogar darüber hinaus und sehe es nicht als eine Blasphemie an, wenn in unserem Bereich an möglichem und gebotenem Ort Denküblichkeiten eines Marketings oder einer dieses ermöglichenden „Marktforschung“, die Daten für Planungs- und Entscheidungsgrundlagen liefert, zu bisher üblicher Betrachtungsweise hinzutreten.

Doch strenge Gesichtspunkte einer Rentabilität“ oder „Amortisation“ — derlei sollte doch nicht beherrschendes Kriterium werden. Dann tritt nämlich das Methodische zu stark in den Vordergrund. Wir aber meinen, daß noch immer das mehr Philosophisch-Anthropologische im Vordergrund steht und von dort her der Standort der Reform zu beziehen ist.

Ein viertes, und dieses Bedenken scheint in einem etwas akuterem Maß gegeben als in bisher geäußerten, sozusagen vorbauenden Besorgnissen. Wir meinen das Eindringen und bald mögliche Vorherrschen von Technizismen. Geschieht das, so liegt darin die Gefahr der Mani-pulierbarkeit, wie einer Entleerung von tieferen Gehalten. Es gibt heute an manchem Ort eine Art „Imponierpädagogik“, die sehr stark mit naturwissenschaftlichen Modellen arbeitet. Sie agiert mit Vorstellun-

gen, die bis zur letzten und alleinigen Aussagekraft im Bereich der Kultur- und Gesellschaftswissenschaften nicht genügen können. Denn hier ist nicht alles Determiniertheit und Kausalität, wie in den exakten Naturwissenschaften. Wir möchten dies kurz so präzisieren: Wir warnen in den Schulreformbestrebungen — bei aller Anerkennung der Verwendbarkeit etwa des programmierten Unterrichtes und überhaupt einer pädagogischen Technologie als Hilfsmittel des Unterrichtes — vor zu starkem Geltendmachen mechanistisch-technizi-stischer (und damit isolierender) Prinzipien, hier wie in jeder Geisteswissenschaft, hier aber besonders. Gegeben ist die Gefahr, gerade aus den drückenden Sorgen heraus, denen wir uns im Bereich von Schule und Erziehung überhaupt gegenübersehen und die zu einem pädagogischen Aktualismus mit Anpassung an die „trends“ hinneigen lassen. Die weise Mitte sei auch hier der richtige Weg.

Schulreform ist als eine permanente Aufforderung der Zeit, einer herausfordernden Zeit zu verstehen — schola semper reformanda. Sie muß auf die sich bildende und künftig noch mehr bestimmende moderne Leistungsgesellschaft ausgerichtet sein; sie wird dabei trotzdem wohlerwogen vorzugehen haben und nicht in eine billige, marktschreierische, übertriebene Progressivität, in eine Modernität um jeden Preis und an jedem, auch am unangebrachten Ort, verfallen.

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