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Was, wen, wie reformieren ?

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DEMOKRATIEREFORM. Von Karl Heinz Rit s ch el (Herausgeber), Paul-Zsolnay-Verlag Wien—Hamburg, 444 Seiten, S 180.—.

DEMOKRATIEKRITIK — DEMOKRATIEREFORM. Von Erhard B us e k und Gerhard W ilf Unger. Wien 1969.114 Seiten.

Die Demokratiereform ist schlechthin zum meistumschriebenen und meistbesprochenen Gegenstand der innenpolitischen Diskussion geworden, wenn es um die Behebung eines „Unbehagens“ geht, das zu definieren freilich allzu schwierig scheint. So stellt auch dieser umfangreiche Sammelband die „Existenzfrage Österreichs“ (im Untertitel) und will sie aus der Sicht der Parteiobmänner von ÖVP, SPÖ und FPÖ, des National ratspräsid eilten sowie sorgsam ausgewogener Autoren behandeln. Da schreiben also vier enragierte Sozialisten, vier Sympathisanten der Regierungspartei und fünf sogenannte unabhängige Journalisten.

Und jeder schreibt aus seiner sehr persönlichen Sicht, mancher am Thema vorbei, und einer scheint sich nicht einmal die Arbeit gemacht zu haben, einen eigenen Beitrag zu verfassen, Man hat diese Ausführungen schon anderswo gehört und gelesen. Professor Marcic etwa ist am gründlichsten: Er geht die Thematik sehr exakt und als Jurist an, der die philosophischen, ja weltanschaulichen Hintergründe eihellen will. Nicht ganz so exakt sind die Journalisten: Da findet sich manchmal nichts anderes als Diagnosen (wo man endlich Therapie erwartet), manchmal auch leichthin in den Raum gestellte Behauptungen. Da überrascht freilich etwa Franz Berner mit einer sehr umfassenden Studie über die Verwaltungsreform (wie sie der Pragmatiker sieht) und Heinz Fischer über die Reform des Parlaments.

Aber die eigentliche Verflechtungsfrage der Demokratiereform mit dem Leben der sieben Millionen Österreicher bleibt ungestellt; wer untersucht endlich, welche Rolle der Bürger in dieser Parteiendemokratie eigentlich spielen will? Welche Formen der Mitbestimmung im Zeitalter der Massenmedien und damit der vorfabrizierten Meinungen noch möglich sind? Ob die Regierenden gar nicht die Adressaten von Vorschlägen sind? Und wo Bildung zur eigentlichen Existenzfrage der Demokratie wird?

Es fehlt dem umfangreichen Buch über die Demokratiereform der Psychologe, der Soziologe und der Fachmann der Bildungspolitik. Und so fehlt der dankenswerten Arbeit leider eine Basis, die über den journalistischen Effekt hineusgeht.

Wie die Herausgeber im Vorwort feststellen, ist es „modern und erzeugt das Flair des Progressiven, in Sachen ,Demokratiereform‘ zu machen“. Da sich — wie Kurt Vorhofer in der „Kleinen Zeitung“ vom 31. Oktober 1969 formuliert — die Reformer zur Demokratiereform bereits anstellen müssen, ist es wichtig, einen guten Platz zu haben. Einen solchen guten Platz hat die von der parteiunabhängigen und überparteilichen Arbeitsgemeinschaft für staatsbürgerliche Erziehung und politische Bildung vorge- leTte Broschüre zweifellos inne.

Wilflinger geht in seiner Demokratiekritik von der Entfremdung des Bürgers vom Staat aus. „Der Mensch verliert die Kontrolle über die politischen Institutionen, die er geschaffen hat und die in seinem Namen funktionieren, er mißt sich keinerlei Einfluß auf den Lauf der Dinge zu und fühlt sich nicht als Teil des politischen Prozesses. Die politischen Ereignisse verlieren für ihn ihren Sinn..11 (S. 16). Die Undurchschau- barkeit politischer Vorgänge führt zu einer scharfen Trennung zwischen öffentlichem und privatem Bereich, so daß „der einzelne mit .seiner Sache1 nur noch seinen privaten Bereich identifiziert und Forderungen der Allgemeinheit an ihn mit Unmut zurückweist“. (S. 18). Ein weiteres Moment der Entfremdung zwischen dem Staat und seinen Bührern ist nach Ansicht des Autors „durch die Professionaliisäerung der Politik entstanden“. (S. 21.)

Nach Wilflinger „liegt aber ein Mißverständnis und eine grobe Verkürzung des Demokratiebegriffes vor, wenn Demokratie als Abschaffung der Herrschaft ausgelegt wird.“ (S. 25.) „Wird die Spannung, die aus der Widersprüchlichkeit von postulierter Freiheit einerseits und Beherrschtwerden andererseits entsteht, zerrissen, greift der Terror der Anarchie oder der Diktatur Platz.“ (S. 26.) Zuzustimmen ist dem Autor auch, wenn er fordert: „Eine ,Verrechtlichung1, die die Autonomie der Verbände beseitigen und sie dem Einfluß der Exekutive unterstellen würde, ist abzulehnen.“ (S. 41.) Allerdings glaubt der Rezensent, daß eine solche Forderung zumindest in Österreich überhaupt niemand erhoben hat; zu berücksichtigen wäre auch, daß — politologisch gesehen — die Verbände selbst zur Exekutive zu zählen sind. Busek gibt in dem von ihm bestrittenen Teil eine große Zahl von Reformvonschlägen. (S. 54.)

Im Zusammenhang mit der Forderung nach Verwendung moderner technischer Anlagen im Parlament möchte der Rezensent eine Frage stellen:

Ist es in der heutigen Zeit genauso wie im Jahre 1848 nötig, daß zu einer bestimmten Stunde, an einem bestimmten Ort alle Abgeordneten gleichzeitig anwesend sind? Oder ist die Technik noch nicht so weit, über Funk und Fernsehen nicht am gleichen Ort Anwesende „zusammenzubringen“? (Dem sicher kommenden Einwand, daß die Diskussion im Plenum unter Anwesenheit aller Abgeordneter eine „politische Funktion“ hat, darf schon jetzt mit dem Hinweis begegnet werden, daß im Plenum mit Ausnahme der Abstimmungen kaum alle Abgeordneten anwesend sind, und vor allem damit, daß doch auf allen Ebenen die Beseitigung von „Irrationalismen“ gefordert- wird:) Aus den Vorschlägen betreffend die Rechtsprechung und Verwaltung sei besonders auf die geforderte Trennung der Regierungsund Administrationsaufgaben und die Einschränkung der Pragmatisierung der Beamten hingewiesen.

Ein besonderer Abschnitt ist dem Titel „Wahlrecht und Gewählter11 gewidmet. Dieser Titel zeigt schon die Tendenz der Gedanken: die Personalisierung des Wahlrechts.

Schließlich erstattet Busek auch konkrete Vorschläge zur Neustrukturie- rung der politischen Parteien.

Nach Lektüre der sehr interessanten Broschüre ergaben sich für den Rezensenten zwei Probleme:

1. Der Kreis der um eine Demokratiereform Bemühten ist ein verhältnismäßig sehr enger.

2. Haben die Vorschläge Chancen, zumindest zum Teil verwirklicht zu werden?

Beide Fragen dürften Zusammenhängen, denn eine massive Unterstützung der Reformer durch eine größere Anzahl von Staatsbürgern scheint mehr Chancen auf eine Verwirklichung zu haben. S. Morscher

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