7115014-1996_12_07.jpg
Digital In Arbeit

Witzig vor lauter Bußfertigkeit

Werbung
Werbung
Werbung

Kirchen, deren geistliches Leben durch ein Kirchenjahr bestimmt ist, befinden sich derzeit in der Fasten- oder Passionszeit. Diese Zeit ist durch eine besondere Bereitschaft zur Buße bestimmt. Also Menschen sind dazu bereit, eine Bilanz über ihr bisheriges Leben zu ziehen, Ziel und Inhalt ihres Lebens kritisch zu überprüfen — und zwar im großen wie im kleinen. Wer in dieser Einstellung zu sich selbst kommt, erlebt erfahrungsgemäß eine Differenz. Nicht irgendeine Differenz, sondern eine grundlegende Differenz: wie einer sein sollte, und wie er tatsächlich ist. Eine Frucht der Buße wäre nun, daß Menschen versuchen, diese Differenz bei sich selbst zu beseitigen oder zumindest zu verkleinern.

Nur - wer so weit ist, der hat ja schon eine wesentliche Selbsterkenntnis hinter sich. Viele Menschen haben ja eher das Problem, daß sie solche grundlegende Differenzen in ihrem Leben nicht oder eher widerwillig zur Kenntnis nehmen. Hat also die Bußpredigt in unserer Zeit eigentlich noch Aussicht, gehört zu werden?

Die Frage gilt, weil es die Bußpredigt eben auch in einer „lustigen" Verfremdung gibt, nämlich im Witz. Auch der Witz lebt ja von der Differenz zwischen dem, wie es ist und wie es sein sollte. Wenn bei uns schon ideale Zustände herrschten, dann könnte man keine Witze mehr erzählen, denn auch Witze rufen auf ihre Art zur Buße.

Ein Beispiel: Ein Afrikamissionar besucht die Kranken in einem Dorf. In einem Kral findet er einen jungen Schwarzen, der im Fieber liegt. Er gibt ihm eine Spritze und sagt: „Du keine Angst haben, du bald wieder gesund und arbeiten wie Elefant." „Das sein gute Sache", sagt darauf der Schwarze, „dann ich fahren nächste Woche wieder nach Paris und halten feine Vorlesung über Sozialpsychologie."

Ein Witz also, aber zugleich eine kleine Bußpredigt über den Hochmut weißer Christen. Und man begreift mit einer gewissen Verblüffung: Wer über sich und seinesgleichen lachen kann, hat erkannt, daß er ein Sünder ist. Lachen ist eben auch ein Zeichen bußfertiger Gesinnung. Und Humorlosigkeit und Un-bußfertigkeit gehen gern in eins.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung