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Gegen die Prapotenz der ubertechnik

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ist das Leben in unserer Zeit sinnvoll? Die Gegenwart ist überwuchert von den Produkten der Technik, die aus den ständig wachsenden Ergebnissen der Naturwissenschaft stammen. So sehr die Leistungen der Physik und Chemie anerkennenswert sind — die Diktatur der Naturwissenschaft wird unmenschlich: der Blick auf den ganzen Menschen wird durch die einseitige Erforschung der Natur verstellt. Zudem ist es von vornherein verdächtig, die „Welt“ einer einzigen Wissenschaft und in dieser einer einzigen Methode, dem Experiment, überlassen zu sollen.

Walter Boveri will der Präpotenz dieser Übertechnik begegnen, und der seltsamen Leichtgläubigkeit der Nichtfachleute. Von Seiten der Naturwissenschaft will man alle anderen Fakultäten der Erkenntnis und der Wissenschaft als Aberglaube und Dummheit abtun.

Der Verfasser beschreibt die Welt als Erscheinung. Im Erscheinungsfeld sehen wir, wie sich im Laufe der Erdentwicklung Energie in Materie verwandelt hat und wie nach Zeiten (die von den unsrigen gar nicht weit entfernt sind) mit dem Menschen der Geist kam. Energie verwandelte sich so in Materie und Materie in Geist. Diese Evolution von Energie in Materie und von dieser in Geist „erscheint“ an der Ursubstanz, am „Ding an sich“ — das seinerseits unerkannt bleibt. Diese Evolution ist keineswegs metaphysisch gedacht, sie ist lediglich eine Erscheinungsweise der sich unseren Sinnen darbietenden „Welt als Erscheinung“. — Die Welt geht auf den Geist zu, aber sie wird in unserer Gegenwart durch das rein materielle Weltverständnis bedroht. Die Naturwissenschaft sammelt Kenntnisse, die uns aber als geistige Wesen nicht weiterhelfen Erkenntnisse kommen aus anderen Quellen, mögen sie aus der Vernunft oder aus dem Glauben stammen; darüber will der Verfasser nicht entscheiden. Aber es wird notwendig, daß wir die Wahrheit wieder auf verschiedenen Wegen finden und so unser Dasein im Zeitalter der Atomangst wieder sinnvoll machen. Die Werte der Kultur — also Kunst, universale Wissenschaft, Religion und die Liebe zum Schönen — stammen aus der Wahrheit. Sowohl die Gegenstände, die die Kultur bearbeitet und hervorbringt, als auch die dazu nötige Konzentration des menschlichen Geistes erhöhen unser Dasein ins Menschliche. Der Geist kann in diesen Kulturgebieten und in der Konzentration frei werden.

Die Schrift Boveris hat mehrfache Bedeutung: Der Leiter des größten Schweizer Industrieunternehmens stellt uns diese Überlegungen als Warnung vor Augen; es gelingt ihm auch, das Mißverhältnis zwischen Naturwissenschaft und geistigem Leben aufzudecken und damit die Einseitigkeit in unserem Weltbetrieb und unserer Weltanschauung darzutun, in der manchmal ein Theologe eher ein physikalisches Gesetz versteht als ein Physiker eine theologische Fragestellung ...

Die Suche nach dem Sinn des Daseins mag man vielleicht nicht immer mitmachen — vor allem die Kantische Erkenntnistheorie, die hier verwendet wird; wenn anderseits auch auf diesem Wege es sich zeigt, wie ungenügend menschlich wir im Menschlichen uns aufhalten und verhalten, wird die Warnung nur noch eindringlicher. Die sehr gedrängte Form der Darlegung mag manchmal das Verständnis erschweren: die klare, überlegene Sprache macht die Lektüre zu einem geistigen Genuß.

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