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Sokrates, Piaton und unsere Zeit

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Sokrates war der erste griechische Denker, der mit klarer Vernunft seine sophistischen Gegner durchschaute. Auch er lehrte zwar wie sie, daß alle Tüchtigkeit letzten Endes im Wissen, in der Erkenntnis wurzelt, aber er erblickte das höchste Ziel des Menschen nicht in der egoistischen Befriedigung, sondern in einer sozialen Einstellung, für das Wohl des Ganzen zu arbeiten. Die Kunst der Politik wurde von Sokrates und Piaton im höchsten Sinne aufgefaßt; wohl soll der eigentliche Träger sittlichen Wissens jeder einzelne Mensch im Volke sein, aber er soll sein Ziel nicht darin sehen, die Parteiinteressen allein zur Geltung zu bringen, sondern in wahrer Einsicht für das Wohl des ganzen Staatswesens zu wirken.

Beide griechische Denker nahmen von einem höheren Standpunkt aus eine eindeutige Stellung gegen die üblen Mißstände der Volksherrschaft, die sich in der Bevorzugung einzelner Personen oder Parteimachtgruppen auswirkte, und versuchten, die Politik auf eine ethische Höhe zu heben, ein Versuch, der mit dem tragischen Tod des Sokrates und verschiedenen nicht ungefährlichen Erlebnissen Piatons, der sich daraufhin vom politischen Leben zurückzog, endete.

Durch die Wirren des Peloponnesi-schen Krieges geschwächt, begann Griechenland damals schon politisch zu verfallen, wenn auch griechische Philosophie und Kultur eine wahrhaft glänzende Blüte erlebten. Die platonische Philosophie stellt in ihrer harmonischen Einheit von wissenschaftlichem Geist und künstlerischer Darstellungs- und schöpferischer Gestaltungskraft eine Spitzenleistung dar, die in der ganzen kommenden Philosophie nie mehr übertroffen, ja nicht einmal erreicht wurde. Es lohnt sich gerade für unsere, so verworrene und zu starken Verfallserscheinungen neigende Zeitperiode, sich an der kristallenen Klarheit und Schönheit platonischer Gedankengänge zu erheben und zu festigen. Als Piaton sah, daß seine Versuche, in das politische Leben seiner Zeit aktiv einzugreifen, zum Scheitern verurteilt waren, gründete er seine Akademie, einen festen Verband für gemeinsame philosophisch-ethische Arbeit mit jungen begeisterungsfähigen Menschen. Hier wurde jene sokratische Methode angewandt, welche zum Ziel hatte, durch fortgesetzte Fragen dem Jünger zunächst sein unvollständiges Wissen über das behandelte Thema zum Bewußtsein zu bringen, ihn zum Nachdenken anzuregen und schließlich die gestellte Frage durch ihn selbst beantworten zu lassen. Immer wieder wurde dabei die Lehre vertreten, daß die rechte Einsicht in notwendiger Verbindung mit dem rechten Wissen auch das rechte Wollen zur Folge haben müsse und daß das Böse letzten Endes in der mangelnden Erkenntnis seinen Grund habe. Die Tugend sei insofern lehrbar, als man die rechte Einsicht im Menschen erwecken könne, da die Anlage zur Tugend jedem Menschen angeboren ist, wie auch die Anlage zur politischen Betätigung zum Wohle des Ganzen jeder Mensch besitzt.

Diese letztere Idee bildet eigentlich die Grundlage des demokratischen Staates, und obzwar Piaton eher einen aristokratischen Zug nach außen in Erscheinung treten ließ, war er in vielen grundlegenden Ideen ein durchaus demokratischer Interpret sozialer Gedankengänge und Probleme. Immer wieder steht im Vordergrund seiner unvergleichlich schönen Dialoge die Erziehungsfrage. Er will die jungen Menschen vom Sinnlichen durch die Schönheit bis an die Pforte des Unsichtbaren, und in eine höhere Welt als die sichtbare hineinführen. Das, was das Sinnliche begehrenswert macht, ist die ihm innewohnende Idee der Schönheit, deren eigentliches Licht aber erst für den zu strahlen beginnt, der sich aus den Banden der Sinnlichkeit freizumachen versteht.

In ähnlicher Weise können wir durch unsere Sinne nur die Schattenbilder der Dinge, wie in einer von rückwärts (vom Eingang) beleuchteten Höhle an der Wand erkennen, während der wahre Weise nach der Erkenntnis des Seins strebt, das hinter der Welt der Erscheinungen, deren Sein bloßer Schein ist, verborgen ist, aber durch die im Menschen wohnende Einsicht und die dem Göttlichen entspringende Vernunft geschaut werden kann.

Piaton war aber noch mehr als ein Philosoph. Er kann in gewissem Sinne als der erste Mensch bezeichnet werden, der versuchte, religiöse Lehrsätze wissenschaftlich zu begründen. Die Seele ist nach seiner Lehre göttlicher Natur, und sie besitzt ein ihr eigentümliches Heimweh nach ihrem überirdischen Ursprung, nach dem paradiesischen Leben, das sie einst führte. Die Lehre in den dionysischen Mysterienkulten vom Abstieg und von der Auferstehung der Seele wurde von Piaton durch das Prinzip der sittlichen Verantwortung erweitert. Das „Logon didonai“, Rechtfertigung ablegen vor sich selbst, eine Gewissenserforschung auf philosophischer Grundlage, lehrte Piaton immer wieder als Grundhaltung und wurde dadurch zum Reformator der heidnischen Zeit. So kann er auch als Wegbereiter der christlichen Gedankenwelt bezeichnet werden, und die Verbindung platonischer Ideen mit christlicher Lehre hat sich für die Entwicklung der christlichen Theologie als sehr fruchtbringend erwiesen. Zieht sich doch von den Kirchenvätern angefangen bis über das ganze Mittelalter in die neuzeitliche Theologie hinein platonisches und neuplatonisches Geisteserbe. Vor allem in der Gestalt eines christlichen Humanismus beglückt uns diese harmonische Verbindung der zwei größten Geistesströmungen des Abendlandes. Wenn heute immer wieder von der Wiederbelebung eines Humanismus gesprochen wird, wenn versucht wird, die Humanitas, die echte Menschenwürde, wiederzufinden und eine geistige Wiedergeburt des Menschen in die Wege zu leiten, so kann eine solche Bewegung unmöglich an Piaton vorübergehen, ja er müßte im Blickpunkt solcher Bestrebungen stehen. Sosehr man in der modernen Zeit geneigt ist, besondere Wege und Formen einzuschlagen und sich in der Existentialphilosophie ein eigentümlicher Zweig anzubahnen scheint, so vermißt man dabei doch jene kristallene Klarheit und Gestaltungskraft platonischer Geistigkeit. Leider ist auch d i e schneidende Kritik Piatons an dem Mißbrauch demokratischer Einrichtungen nur zu aktuell in der heutigen Zeit, in der wir dauernd erschüttert werden durch die zunehmende Korruption im öffentlichen Leben. Schon damals in Griechenland hielt sich mancher Unberufene für berufen, an den wichtigsten Entscheidungen des öffentlichen Lebens unmittelbar mitzuwirken, und sachlich nicht geschulte Männer, durch Volksgunst und Vordringlichkeit emporgehoben, schadeten der Staatsleitung mehr, als sie halfen. Vor allem aber ist gegenüber der Maßlosigkeit schon der damaligen Zeit von Piaton das rechte Maß, die messende Erkenntnis immer wieder eindringlich betont worden, und wir haben heute mehr denn je die Pflicht die Maßlosigkeit unserer Zeit auf das rechte Maß zurückzuführen.

Erst dann kann die Menschenwürde wiederhergestellt werden, wenn im Lichte platonischer und christlicher Ethik das Ideal des Menschendaseins in Maß, Schönheit und Wahrheit, verbunden in der höheren Einheit der Idee des Guten, dem Geiste der Liebe gesucht und gefunden wird. Erst dann wird der Geist des Abendlandes eine wirkliche Renaissance feiern.

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