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Ungenau erzählte Geschichte

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Franz Wuketits schafft es, mit großer Treffsicherheit an jedem konkreten wissenschaftlichen Thema vorbeizuschreiben. Das läßt seine Texte auf den ersten Blick so aussehen, als würden sie einen bestimmten Gegenstand wissenschaftlich bearbeiten, aber leider führt bereits ein zweiter Blick zur enttäuschenden Erkenntnis, daß sie im besten Fall eine recht oberflächliche und gelegentlich schlampige Kompilation sind, die jede weiterführende Aussage oder Botschaft vermissen läßt.

Im konkreten Fall findet man statt einer auf den sachlichen Themen beruhenden Rekonstruktion, etwa der Entwicklung des Instinktbegriffes in der Verhaltensforschung, ein Sammelsurium an Zitaten seit David Hume, in denen der Ausdruck „Instinkt" vorkommt, ohne daß der Leser erfährt, was der jeweilige Autor damit meinte. Man wird vergeblich, um nur ein Beispiel zu nennen, eine wissenschaftstheoretische Analyse der Arbeit „Über die Bildung des Instinktbegriffes" von Konrad Lorenz (1937) suchen, eine Rekonstruktion der damaligen Debatte mit der Schule um Bierens de Haan und vieles mehr.

Das Buch enthält Aussagen, über die man nur staunen kann, wenn man die Verhaltensforschung kennt. Auf Seite 9 steht, daß die Einordnung der Soziobiologie „in das Gesamtsystem der Biologie noch zu leisten" sei. Steht die Soziobiologie etwa außerhalb der Biologie? Was ist das „Gesamtsystem", in das man sie einordnen soll? Ausdrücke wie „das Gesamtsystem der Biologie" sind wissenschaftlich klingendes Geschwätz. „Auf die theoretische Begründung der Ethologie" solle, erklärt der Autor (Seite 11), „das Hauptaugenmerk ... in diesem Buch" gelenkt werden. In dieser theoretischen Begründung erfährt man dann, daß es eigentlich keinen Paradigmenwechsel in der Wissenschaft gebe, weil selbst Darwins Evolutionstheorie „nicht über Nacht entstanden" sei. Daß dies an der Problematik des Paradigmenwechsels völlig vorbeigeht, kann man bei Thomas Kuhn und vielen anderen Autoren nachlesen. Dazu kommen einfache Fehler, so eine Abbildung zum Kindchenschema aus einer Arbeit von Lorenz (1935), unter der steht: „Nach Tinbergen, 1972", nur, weil dieses Bild, unter vielen anderen Publikationen, auch bei Tinbergen erschien. Wuketits schreibt, daß Konrad Lorenz in Altenberg geboren und gestorben sei. Tatsächlich kam Lorenz in Wien zur Welt und starb auch in Wien. Das müßte einem Lorenz-Biographen, wie man glauben sollte, eigentlich bekannt sein.

Der Leser erfährt nichts über Aufbau und Inhalt der empirischen Arbeiten der Verhaltensforschung, die zur Entwicklung der wesentlichen Begriffe wie zum Beispiel des angeborenen Auslösemechanismus, der Beizsummenregel, der Taxis, des Tropismus und vielem mehr geführt haben, man erfährt über die evolutionäre Erkenntnistheorie nichts als ein paar willkürlich herausgegriffene Zitate, keine Bede ist von der Sachdiskussion zu diesem Thema, trotz Ankündigung der „großen Zusammenhänge", und was man über „Ethologie und Ethik" auf Seite 158 zu lesen bekommt, entspricht kaum dem Stand der Diskussion.

Man hätte die biologische Verhaltensforschung, wie sie mit Craig, Whitman, Heinroth und Lorenz entstanden ist, aus den empirischen Arbeiten im Vergleich mit den Konzepten und Untersuchungen der Behavi-oristen rekonstruktiv analysieren können, man hätte zeigen können, wie Theorie und Erfahrung in beiden Bereichen zusammenhängen, man hätte den schrittweisen Aufbau der Begriffe aus den einschlägigen Arbeiten darstellen können, man hätte die Problematik des Tier-Mensch-Vergleiches anhand der vorliegenden Konzepte und empirischen Erfahrung analysieren können, aber nicht, indem man, wie es der Autor macht, irgendwelche Zitate diverser Autoren zusammenstoppelt, sondern indem man den wissenschaftlichen Gedankengang nachvollzieht.

Von diesem erfährt der Leser dieses Buches nämlich nichts - denn das hätte eine wissenschaftliche Leistung erfordert, zu der Franz Wuketits entweder nicht bereit oder nicht fähig war. Auch daß heute über die Verhaltensforschung bis zum ideologischen Pamphlet diskutiert und gestritten wird, hätte man durch die „großen Zusammenhänge" klarmachen können, indem man gezeigt hätte, was man ideologisch aus manchen ihrer Konzepte machen kann, aber auch, wie manche andere ideologische Konzepte die Ergebnisse bis zur Unkenntlichkeit in ihr Gegenteil verdrehen -je nach Bedarf.

Dazu wäre es aber nötig gewesen, daß der Autor Stellung bezieht, sagt, was er mit diesem Buch eigentlich will - außer wieder ein Buch zu schreiben. „Die erste umfassende Darstellung der Geschichte der Verhaltensforschung im deutschen Sprach-räum", wie vom Verlag auf dem Umschlag angekündigt, ist dieses Werk nämlich auch nicht.

DIE ENTDECKUNG DES VERHALTENS

Eine Geschichte der Vtrhaltensfor-schung. Von Franz M. Wuketits Wissenschaftliche Buchgesellschaft üarmstadt 1995.187 Seiten, 23 Abbildungen, Ln., öS 311.-

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