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Erlebte Biologie

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IBER TIERISCHES UND MENSCHLICHES VERHALTEN. Aua dem Werdegang der Verhaltenslehre. Band I. Von Konrad Lorenz. Piper-Verlar, Hänchen. 418 Seiten. Piperback, Prell 106.80 S.

Diese Sammlung sechs maßgeblicher Abhandlungen von Konrad Lorenz steht seit Wochen auf der Bestsellerliste einer Reihe von Wiener Buchhandlungen. Das ist angesichts des rein wissenschaftlichen Charakters des Werkes eine kleine, höchst erfreuliche Sensation. Sie ist sicherlich darauf zurückzuführen, daß sich Lorenz durch seine gemeinverständlichen Erzählbücher aus seinem Arbeitsbereich als Verhaltensforscher eine internationale Lesergemeinde geschaffen hat. Der Erfolg seiner populären Darstellungen kam nicht von ungefähr, denn sie vereinen die akribische Faktentreue des Wissenschaftlers von Weltrang mit einer Sprachmeisterschaft, wie sie in der Fachwelt selten ist, mit einer franziskanischen Liebe zum Tier, die sich dem Leser beglückend mitteilt, und mit einem trockenem Humor, der den Genuß der Lektüre verdoppelt. Daß er dieser menschenfreundlichen Publikationen halber, die er in souveräner Geberlaune als Nebenprodukte seiner strengen Forschertätig-keit den Tierfreunden aller Welt zum Geschenk machte, Angriffe von Misanthropen unter seiner Kollegenschaft auf sich zog, ist bekannt und symptomatisch.

Was er hier vorlegt, sind Arbeiten aus den Jahren 1932 bis 1942, zunächst allgemeine Betrachtungen zur Ethiologie sozialer Corviden, also der Biologie des Verhaltens der Sperlingsvögel, sowie über das Erkennen der arteigenen Triebhandlungen der Vögel. Der Hauptteil ist dem Thema des Kumpans in der Umwelt des Vogels gewidmet, wobei der Artgenosse als auslösendes Moment sozialer Verhaltensweisen im Mittelpunkt steht. Wichtige Grundsatzbeiträge gelten der Bildung des Instinktbegriffs sowie der Unterscheidung zwischen induktiver und teleologischer Psychologie, wobei sich auch die Fähigkeit des Autors zu geschliffener Polemik im Kampf um seine für richtig erachteten Standpunkte erweist. Eine weitere Darstellung handelt von der Taxis (Wirkung von Außenreizen) und Instinkthandlung in der Eirollbewe-gung der Graugans (illustriert). Ein

zweiter Band, im Herbst erscheinend, wird die Thematik abrunden.

Da die Ethologie zur Zeit der Entstehung dieser Arbeiten am Anfang ihrer Entwicklung stand, verfügte sie noch nicht über ein eigenes wissenschaftliches Vokabular, sondern mußte sich ihr verbales Instrumentarium erst selbst schaffen. Das ist insofern ein Vorteil, als die überaus fesselnden Forschungen nicht allein dem Fachgelehrten, sondern auch dem gebildeten Laien ohne weiteres verständlich sind. Da hier, gegenüber den populären Darstellungen Lorenz', sämtliche Details ausgebreitet werden, ergibt sich ein ausgedehnteres Panorama, anders in der Diktion, doch um nichts weniger faszinierend als die bekannten Bücher. Seit Jean-Henri Fabre mit den „Souvenirs entomologiques — Etudes sur l'instinct et les moeurs des in-sects“ sein Lebenswerk niederlegte (deutscher Auswahlband unter dem Titel „Das offenbare Geheimnis“, herausgegeben von Kurt Guggenheim und Adolf Portmann, Zürich 1961), hat kein zweiter Biologe seinen Stoff so lebendig und aus der Fülle des Erlebens dazustehen gewußt wie Lorenz. Darum können wir zur Charakterisierung des vorliegenden Bandes auch keine treffendere und schlichte Formulierung finden, als Guggenheim sie Fabres „Souvenirs“ zuteil werden ließ und wo es heißt, daß der Zauber, das Erlebnishafte, Befreiende, Beseligende daher kommt, daß sie von einem glücklichen Menschen geschrieben wurden: „Hier ist mir, ist es uns allen auf eine greifbare, beweisbare Weise vorgelebt, daß es ein Glück gibt, daß man es sich erstreiten kann, nicht oder fast nicht mit materiellen Waffen, aber indem man das tut, wofür man geboren ist. Dieses Glück besteht nicht im Erfolg, nicht im Ruhm und selbstverständlich nicht im Besitz, sondern ganz allein in einer Seelenlage.“

Diesen Worten ist nichts hinzuzufügen. In einer Zeit, da der Städter dem Tier entfremdet ist, wird uns das Eindringen in die Welt des tierischen Lebens, wie es Lorenz demon-

striert, neben aller Erkenntnis, die er vermittelt, zu einem herzbewegenden Abenteuer.

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