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Distanzieren!

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Sehr geehrter Herr Generalsekretär!

Als die KPÖ vor den letzten Nationalratswahlen die Parole ausgegeben hatte, diesmal für die Sozialisten zu stimmen und ihre Presse die SPÖ gleichsam als „kleineres Übel“ empfahl, war die Empörung im Lager der Volkspartei und weit darüber hinaus groß. Mit Recht wurde immer wieder getadelt, daß die damalige sozialistische Führung diese Schützenhilfe wortlos akzeptiere. Distanzieren! Diese Forderung war allgemein. Sie kam nicht zuletzt aus Ihrem Munde. Daß sie ignoriert wurde, trug einen guten Teil zur Niederlage der SPÖ am Wahltag bei. Die späten Beteuerungen, daß man diese Hilfe nicht erbeten hätte und auch keine Konsequenzen daraus abzuleiten bereit gewesen wäre, fruchteten nichts.

Warum wir heute gerade Sie, sehr geehrter Herr Generalsekretär, daran erinnern? Seit Monaten bereitet es nicht wenigen Wählern der Volkspartei äußerstes Unbehagen, daß die bei allen deutschen Demo-

kraten politisch übelst beleumundete „Deutsche National- und Soldatenzeitung“ ihr Wohlwollen für die österreichische Volkspartei beziehungsweise für führende Exponenten derselben entdeckt hat. Dieser „Goodwill“ des Sprachrohrs eines neuen radikalen deutschen Nationalismus erreichte vor kurzem einen fatalen Höhepunkt. In der Nummer der NZ vom 23. September wurde dem österreichischen Regierungschef und Bundesparteiobmann der ÖVP

die zweifelhafte Ehre zuteil, sein Bild gleich fünfmal auf der ersten Seite dieses Blattes zu sehen und über seine Person wie über die Politik der Regierungspartei folgendes „Wohlverhaltenszeugnis“ lesen zu können:

„Österreichs Kanzler, Dr. Josef Klaus, hat an der Spitze eines kleinen und schwachen Staates das Kunststück fertig gebracht, durch diplomatisches Geschick die ihm anvertraute Bevölkerung durch alle Fährnisse der internationalen Politik an Ehre und Geld unversehrt hindurchzubringen.“

War es schon schwer zu begreifen, daß die österreichische Justiz bis jetzt kein Kräutlein gegen jene Gazette gefunden hat, deren Herausgeber sich demnächst vor einem deutschen Gericht wegen Völksverhetzung zu verantworten haben wird, so mußte es jeden christlichen Demokraten befremden, daß bisher kein einziges Blatt der Volkspartei sich mit dem hier Woche für Woche verbreiteten „Gedankengut“ ausein-

andersetzte, geschweige, daß auch nur ein einziger Mandatar der Volkspartei sich gedrängt sah, der Hetze, die hier systematisch gegen die geistigen Grundlagen der Zweiten Republik getrieben wird, entgegenzutreten. Alles aber würde überboten durch die stillschweigende Annahme, einer „Empfehlung“, wie jener, die der Anlaß zu diesem Brief ist. Qui tacet, consentire videtur. Die alte Wahrheit gilt noch immer.

Jetzt könnte der Fall eintreten, daß Sie, sehr geehrter Herr Generalsekretär, entgegnen: Wer liest denn jenes Münchner Blatt in Österreich? Auf diesen Einwand sind wir vorbereitet. Er ist nach unserer Meinung nicht stichhältig. Zunächst muß festgehalten werden, daß dieses Blatt seine Vergiftungsarbeit seit Jahren systematisch betreibt. Eine eigene Österreich-Ausgabe ist der eindeutige Beweis, daß es bei gewissen Schichten „ankommt“. Die in Österreich verkaufte Auflage der NZ dürfte in die Nähe der Auflage der „Volksstimme“ kommen. Und als diese Pittermann auf die Schulter klopfte, ohne daß er sich umsah und dieser plumpen Vertraulichkeif die

notwendige Antwort gab, fanden Sie dies skandalös. Zweifellos. Aber ebenso fatal wäre es, wenn ein bereits einmal wegen Verstoß gegen das NS-Verbotsgesetz von einem österreichischen Gericht verurteiltes Blatt dem österreichischen Regierungschef applaudiert, und dieser Applaus nicht als Beleidigung energisch zurückgewiesen wird. Nicht nur viele österreichische Patrioten, die bisher in der Volkspartei ihre politische Heimstatt sahen, könnten | durch dieses Schweigen irre werden, 1 es geht um mehr: fast wäre man versucht zu sagen, es geht um die Seele der Partei, die bekanntlich von ihren Gründern im Widerspruch zu jenem Ungeist konzipiert wurde, dem die NZ Woche für Woche wieder das Wort redet.

Distanzieren! Diese von Ihnen 1966 an die Adresse der SPÖ gerichtete berechtigte Forderung darf diesmal an Sie, sehr geehrter Herr Generalsekretär, als Sprecher und Gewissen der Österreichischen Volkspartei gerichtet werden. Bisher haben wir jenen Lesern, die den Verdacht geäußert haben, es müßten von irgendeinem Hinterzimmer der Kärtnerstraße Fäden zu jenem Blatt führen, mit Jberzeugung widersprochen. Dies fiele in Zukunft schwer, bliebe das scharfe und klärende Wort vor der Öffentlichkeit aus, auf das nicht nur die „Furche“ wartet.

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