"Ich scheitere jeden Tag neu"

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Welcher Zugang zum Scheitern der erfolgversprechendste ist, verrät Physiker Friedrich Prinz. Er lehrt in Stanford und arbeitet mit Start-ups im Silicon Valley.

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Welcher Zugang zum Scheitern der erfolgversprechendste ist, verrät Physiker Friedrich Prinz. Er lehrt in Stanford und arbeitet mit Start-ups im Silicon Valley.

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Welcher Nährboden fördert die Entstehung neuer Ideen? Welche Rolle spielen Fehler und was können Österreicher von Amerikanern lernen?

DIE FURCHE: Sie unterstützen Ihre Studierenden dabei, innovative Start-ups zu gründen. Was ist der beste Nährboden für Innovation?

Friedrich Prinz: Wir bilden unsere Studierenden so aus, dass sie möglichst nicht scheitern. Die Start-ups, die meine Studierenden kreiert haben, existieren zumindest alle noch (lacht). Das Arbeiten erfolgt nicht nur nach wissenschaftlichen Kriterien, sondern in zweiter Linie auch nach gesellschaftlichen Kriterien: Eine exzellente Qualifikation bedeutet ja noch lange nicht, neue Ideen zu haben, die gesellschaftlich relevant sind und sich kommerzialisieren lassen.

DIE FURCHE: Welche Rolle spielt also das Scheitern?

Prinz: Das Scheitern liegt in der Natur des Forschens, es gibt in der Wissenschaft ständig Rückschritte. Die Modellvorstellungen, die man im Kopf hat, sind meist zu einfach. Die Wirklichkeit ist komplexer. Zur Verifikation bleibt mir nur die "trial and error"-Methode. Wer in der Forschung erfolgreich sein will, benötigt vor allem Geduld und Flexibilität.

DIE FURCHE: Welche Erfahrungen haben Sie selbst mit Misserfolgen oder Rückschlägen gemacht?

Prinz: Ich scheitere jeden Tag. Darum ist es so wichtig, eine gute Gruppe um sich zu haben, die einen ständig hinterfragt, kritisiert, widerspricht, herausfordert. Ich sagen meine Studierenden: Ich schätze Sie besonders und nehme Sie dann in meinen Doktorats-Kreis auf, wenn Sie eigene Ansätze suchen.

DIE FURCHE: Üben Herausforderungen und Rückschritte gar einen besonderen Reiz auf Sie aus?

Prinz: Das lange Experimentieren, die Anstrengungen machen nicht immer Freude, aber diese Resistenz muss man als Individuum haben und auch in seiner Umgebung finden. Wie beim Sport entwickelt man in der Wissenschaft einen fast masochistischen Zugang: Manchmal muss es ein bisschen wehtun. Dann sage ich: Jetzt erst recht! Oft wollen Forscher ihre These unbedingt halten. Das fördert Wettbewerb und Qualität.

DIE FURCHE: Was ängstigt denn die Menschen am Scheitern? Ist es nicht eher das Reden darüber, das Urteil der anderen?

Prinz: Jeder hat ein Problem mit dem Scheitern. Die Frage ist nur: Wie hoch ist die soziale Akzeptanz, wenn es passiert? Die ist hier an der Uni und im Silicon Valley relativ hoch. Das ist schon ein Unterschied zur europäischen Tradition. In einer Einwanderer-Gesellschaft ist die soziale Akzeptanz für Fehler kulturell stärker ausgeprägt. Die se Akzeptanz gibt ja Sicherheit, weil mich die Gesellschaft trotzdem akzeptiert und ich wieder einen Job bekomme. In Österreich denken sich die Leute: Wenn die Firma pleitegeht, was mache ich dann? In den USA ist der Zugang: Dann mache ich die nächste Firma!

DIE FURCHE: Sie arbeiten seit 21 Jahren im Silicon Valley. Wie sieht die Firmenkultur dort aus?

Prinz: Wenn eine Firma zugrunde geht, macht man eine große Party, eine "graduation ceremony": Man hat quasi bei dieser Firma graduiert. Auch wenn wer die Firma verlässt, lädt man die Person zum Essen ein und macht ein Exit-Interview, um herauszufinden: Was ist der Grund? Was kann ich von dir noch mitnehmen und lernen? Die "human relations departments" sind in jeder Firma sehr ausgeklügelt: Welche Einstellung haben die Mitarbeiter zur Organisation, wie motiviert man sie, wie geht man mit Konflikten um?

DIE FURCHE: Dafür gibt es wohl auch wirtschaftliche und nicht nur humanistische Gründe.

Prinz: Natürlich. Man ist bereit, Geld einzusetzen, Mittel zu bewegen, um Experimente zu machen. Jede Firma weiß um das Risiko. Hier wird eben nicht in Häuser, sondern in Köpfe investiert. Das rentiert sich mehr. Gleichzeitig hängt das auch mit einer kritischen Größe zusammen, denn dafür muss genug Geld da sein.

DIE FURCHE: Was können die Österreicher von den Amis lernen in puncto Scheitern?

Prinz: Die berühmte zweite, dritte, vierte Chance muss man jedem geben. Es ist auch sozial im Sinne einer kulturellen Offenheit, wenn man die Belegschaft einer insolventen Firma übernimmt für das nächste Projekt. "Let's move on!" ist ein wesentliches Element im unternehmerischen Erfolg, und in der Ausbildung: Wir adaptieren unser Curriculum ständig.

DIE FURCHE: Welche Nachteile bringt die Risikobereitschaft?

Prinz: Dass man unbedacht vorgeht, weil man sich auf die nächste Chance verlässt. Man wird dann unvorsichtig bei der Artikulierung von Gedanken, geht unnötige Risiken ein, will Unrealistisches probieren. Zu große Erwartungen werden schnell enttäuscht. Das Gespräch führte Sylvia Einöder

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