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Der Zug ist längst im Rollen

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Bei seinem Antrittsbesuch in Bonn am 5. März erklärte Bundeskanzler Klima, daß es für Österreich „heute” keinen Grund gebe, die Neutralität aufzugeben und der NATO, „wie sie heute existiert”, beizutreten. Weiters kündigte Klima an, daß die Regierung die Entwicklung, insbesondere den NATO-Gipfel im Juli in Madrid, genau beobachten und dem Parlament dann im März nächsten Jahres entsprechende Vorschläge unterbreiten werde.

Klimas Aussage enthält einen wahren Kern, aber ein höchstwahrscheinlich falsches Zeitkalkül. Zwar war es richtig, daß es „heute”, sprich am 5. März, keinen Grund gab, der NATO beizutreten; bis März 1998 wird Klima jedoch auch nicht warten können, um den linken SPÖ-Flügel von Antiamerikanismus und/oder Neutralitätsnostalgie zu befreien, wie ein Blick auf den Fahrplan der Osterweiterung der NATO zeigt: Am 20./21. März kommt es in Helsinki zum Gipfeltreffen der Präsidenten Buß-lands und der USA, Jelzin und Clinton, wobei aller Voraussicht nach ein Kompromiß im Zusammenhang mit der NATO-Frage erzielt werden wird; auch wenn es wider Erwarten nicht dazu kommen sollte, werden im Juli beim NATO-Gipfel in Madrid mit ziemlicher Sicherheit mehrere Staaten zum Beitritt eingeladen werden. Als Fixstarter gelten Polen, Tschechien und Ungarn; mögliche Kandidaten sind Slowenien und Rumänien; unwahrscheinlich ist eine Beitrittsoption für die Slowakei; ziemlich sicher dürfte sein, daß auch alle jene EU-Mitglieder zum Beitritt eingeladen werden, die bisher nicht der NATO angehören, wobei die Erweiterung und damit die Ratifizierungsverfahren in den 16 Mitgliedsländern bis zum 50. Jahrestag der Unterzeichnung des Washingtoner Vertrages (4. 4. 1949), das heißt der Gründung der Allianz, abgeschlossen sein sollen. Österreich wird sich daher mit fast hundertprozentiger Sicherheit mit seiner Entscheidung nicht bis März 1998 Zeit lassen können, weil allein für die Ratifizierung in den Parlamenten etwa ein Jahr zu veranschlagen sein dürfte.

Für einen Beitritt zur Allianz sprechen vor allem folgende Gründe:

■ Die Neutralität war primär ein -vor allem von der damaligen SPÖ-Führung weitgehend ungeliebtes - Mittel, um die Besatzungstruppen aus dem Land zu bekommen, und um die Zustimmung vor allem der Sowjetunion zum Staatsvertrag und zur Neutralität • nach Schweizer Muster zu erhalten. Nach dem Ende der UdSSR hat die Neutralität nicht nur ihren Sinn verloren; vielmehr ist die Republik schon aus finanziellen Erwägungen heute weniger denn je in der Lage, jene Aufrüstung zu bezahlen, die zur Aufrechterhaltung einer (ohnehin nie gelebten) glaubwürdigen Neutralität nötig wäre.

■ Wie ein Blick auf die Landkarte zeigt, hat der Wegfall der Blockkonfrontation Österreichs gefährliche Lage zwischen zwei Militärbündnissen beseitigt und bietet der Republik nun die Möglichkeit, durch einen Beitritt zur NATO die westliche Stabilitätszone weiter nach Osten auszudehnen. Durch den gleichzeitigen Beitritt anderer mittelosteuropäischer Staaten gelingt es außerdem, die schwierige Mittellage aufzuheben, an der Österreich und Deutschland in diesem Jahrhundert bereits zweimal mit katastrophalen Folgen für ganz Europa gescheitert sind.

■ Die bevorstehende NATO-Osterweite-rung gibt Mittelosteuropa erstmals multilaterale Sicherheitsgarantien und vermindert daher die Gefahr für „Zwischeneuropa”, neuerlich in bilaterale Interessensphären aufgeteilt zu werden. Außerdem schafft die NATO-Erwei-terung jene Stabilität, die eine wichtige Voraussetzung ist für die dauerhafte wirtschaftliche Prosperität und damit für die weit später folgende EU-Erweiterung. Daß dies kein Wunschdenken, sondern politische Bealität ist, zeigen insbesondere der Grundlagenvertrag zwischen Rumänien und Ungarn sowie die Verhandlungen zwischen Rumänien und der Ukraine über ein derartiges Dokument, die in direktem Zusammenhang mit den NATO-Ambitio-nen von Budapest und Bukarest stehen.

■ Wenn Österreich in seiner Nachbarschaft dauerhaft seine ökonomischen Interessen wahren will, muß es auch sicherheitspolitisch präsent sein. Somit sprechen weitgehend jene Gründe, die im Zusammenhang mit der EU-Mitgliedschaft ins Treffen geführt wurden, auch für einen Beitritt zur NATO als jener Organisation, die das sicherheitspolitische Gefüge Europas im 21. Jahrhundert primär prägen wird. Erschwerend kommt noch hinzu, daß ein Beitritt zur WEU ohne weitgehend zeitgleiche Aufnahme in die NATO de facto nicht möglich ist, wobei die Abhängigkeit der WEU von der NATO auch auf logisti-schem Gebiet noch über Jahre gegeben sein wird.

■ Ob und wann es eine zweite Erweiterungsrunde der NATO, oder ob es für Österreich eine Einzelaufnahme zu einem späteren Zeitpunkt geben wird, ist jedenfalls unklarer und unsicherer als die geplante EU-Osterweiterung.

In seinen „Gedanken und Erinnerungen” schrieb Otto von Bismarck auch für Österreichs Lage - nicht erst ab Juli - so treffend: „Ob wir Absichten und bewußte Ziele unserer Politik überhaupt jetzt haben, weiß ich nicht; aber daß wir Interessen haben, daran werden uns andre schon erinnern. [...] die Passivität und Planlosigkeit unserer Politik, die froh ist, wenn sie in Buhe gelassen wird, können wir in der Mitte von Europa nicht durchführen.”

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