Milliardenschmäh der Militärs

19451960198020002020

Zur Strategie der Befürworter einer NATO-Mitgliedschaft zählt auch die manipulativ niedrige Kalkulation der Beitrittskosten.

19451960198020002020

Zur Strategie der Befürworter einer NATO-Mitgliedschaft zählt auch die manipulativ niedrige Kalkulation der Beitrittskosten.

Werbung
Werbung
Werbung

Bereits im November 1997 hatte sich Erich Reiter, Sektionschef und Chef-Ideologe im Militärministerium und einer der eifrigsten NATO-Beitrittsbefürworter, bemüht, der Studie von Heinz Gärtner und Johann Pucher über die Kosten eines NATO-Beitritts mit einer anderen Studie zu begegnen. Gärtner und Pucher berechneten in ihrer Studie vom Oktober 1997 die zusätzlichen Kosten bei einer NATO-Vollmitgliedschaft äußerst vorsichtig mit sieben bis zwanzig Milliarden Schilling pro Jahr. In den Medien wurde die Studie von Gärtner und Pucher mehrmals genannt. Das mußte ein Dorn im Auge des NATO-Fans Erich Reiter sein. Nur schwer, so kalkulierte Reiter wohl richtig, würde die Bevölkerung einen NATO-Beitritt akzeptieren, wenn bekannt wäre, daß eine NATO-Vollmitgliedschaft eine Verdoppelung des Militärbudgets nach sich zöge. Die veröffentlichten Zahlen mußten korrigiert werden, und Reiter ging ans Werk, die Kosten selbst zu berechnen. Als Co-Autor gewann er Günter Höfler, Generalstabs-Brigadier (!) und österreichischer Militärattache bei der NATO. Reiters und Höflers Ergebnis: Die österreichischen NATO-Kosten würden bei einer Vollmitgliedschaft "lediglich" eine runde Milliarde Schilling betragen.

Die erste Präsentation dieser Zahlen mochte wohl niemand so recht glauben ("Die Presse", 27. 11. 1997; "Salzburger Nachrichten" (SN), 22. 12. und 30. 12. 1997). Seriöse JournalistInnen ignorierten sie wegen des offensichtlichen Ideologieverdachts. Nur die ÖVP-Führungsmannschaft vernahm es dankbar: Eine Milliarde, das sei doch so wenig, und außerdem käme eine Nichtmitgliedschaft noch wesentlich teurer. Wolfgang Schüssel unterbot Ende 1997 den Preis mit 700 Millionen Schilling - ein Betrag, der mühelos aus dem gegenwärtigen Budget gedeckt werden könnte.

Kürzlich starteten Reiter und sein Ministerium nochmals durch. Die NATO-Befürworter in den österreichischen Medien - beispielsweise Andreas Koller in den SN (23. 7. 1998) - schoben die sechs Monate alten Zahlen in die journalistische Mikrowelle und präsentierten sie als etwas Neues. Richtiger wurden sie dadurch freilich nicht. Dennoch haben sie ihre Wirkung. Irgendwann wird es die Bevölkerung schon noch glauben.

Der erste Trick von Reiter und Höfler: Sie behaupten, daß die geplante enorme technische Aufrüstung in der österreichischen Armee nicht mit der NATO-Mitgliedschaft zusammenhängen würde. In Reiters Studie wird der Investitionsbedarf für die nächsten zehn Jahre mit 80 Milliarden beziffert plus nötigem Betriebsaufwand von weiteren 40 Milliarden. Das ergibt in Summe 120 Milliarden in zehn Jahren, was durchschnittlich zwölf Milliarden pro Jahr ausmacht. Ist dies unabhängig von der NATO-Mitgliedschaft zu sehen, wie Reiter und Höfler behaupten?

Tatsächlich erfolgen die gegenwärtigen und geplanten Rüstungskäufe im Prozeß fortschreitender NATO-Integration und orientieren sich an NATO-Interoperabilität und -Kompatibilität. Die bereits beschlossenen 511 Panzer mit den damit verbundenen neuen Raketensystemen (elf Milliarden) sind für die Verteidigung des heimischen Territoriums wohl nicht notwendig. Nicht von ungefähr stammt die Hälfte der Panzer aus den NATO-Armeen Deutschlands und der Niederlande und ist auch die Raketenbeschaffung hundertprozentig NATO-geeignet. Weitere 40 Milliarden, die für einen Ersatz der maroden Draken genannt werden, hängen gleichfalls mit dem NATO-Systemzwang zusammen. Jedenfalls widerlegt Reiter selbst die Legende, daß bei einer NATO-Mitgliedschaft auf neue Kampfjets verzichtet werden könnte.

Die zweite Schwachstelle der Studie von Reiter und Höfler liegt darin, daß die NATO-Integration des heimischen Heeres nicht nur auf der Basis einer Vollmitgliedschaft berechnet werden sollte. Die NATO kostet heute schon das österreichische Volk einen Batzen Geld.

So steigt im Prozeß der NATO-Integration das österreichische Militärbudget (1997: 20,9 Mrd.; 1998: 21,4 Mrd.; 1999: 21,5 Mrd., alles laut offiziellen Angaben). In diesem Betrag sind das militärische Bautenbudget mit einer Milliarde und die Pensionsaufwendungen mit knapp vier Milliarden noch gar nicht mitberechnet. Summa summarum sind dies mehr als 25 Milliarden, was drei Prozent des österreichischen Staatshaushalts entspricht. Während die europäischen Staaten ihre Militärausgaben seit Ende des Kalten Krieges im Schnitt um ein Drittel gekürzt haben, gab es in Österreich zwischen 1985 und 1995 eine konstante Erhöhung um 20 Prozent.

Mit der Teilnahme Österreichs an der sogenannten "Partnerschaft für den Frieden" (PfP) bzw. ihrer "Erweiterung" (ePfP) und damit der Beteiligung an NATO-Strukturen wie dem Euro-Atlantischen Partnerschaftsrat, dem beständigen Ausbau der österreichischen NATO-Botschaft, der Intensivierung der WEU-Integration im Gefolge der Verträge von Maastricht und Amsterdam, steigen die militärischen Notwendigkeiten und damit die Militärausgaben. Militärische Aktivitäten nehmen im Prozeß der NATO-Integration zu. Beispiele dafür sind auch die militärischen Engagements Österreichs "im Geiste" der "Partnerschaft für den Frieden". Ins Gewicht fielen vor allem die Beteiligung an IFOR (1996 mit 316 Millionen Schilling) und SFOR (1997 mit 165 Millionen). Auch Gärtner und Pucher schätzen in ihrer Studie, daß die erweiterte PfP in Zukunft höhere Ausgaben erforderlich machen wird, da sich Österreich vermehrt an internationalen Einsätzen beteiligen wird. Beständig mehrt sich auch die Zahl von PfP-Manövern, an denen sich heimische Soldaten beteiligen. Die sind bekanntlich nicht gratis. Im Bereich der sogenannten "Peace Support Operations" werden in Zukunft die kostenintensiven "friedensschaffenden" Operationen im Bereich der ePfP zunehmend eine Rolle spielen. Diese Größenordnungen von vermehrten militärischen Aktivitäten bleiben in der Studie von Reiter und Höfler hingegen völlig unberücksichtigt.

Drittens verschweigen die beiden Studien-Autoren auch weitere Hinweise, warum es mit einer Milliarde Zusatzkosten für eine Vollmitgliedschaft nicht getan sein kann. Sowohl seitens der heimischen Militärs als auch seitens der NATO würde es automatisch einen Druck auf die Bundesregierung geben, den Militäretat prozentuell an die Budgets der anderen NATO-Staaten zumindest anzupassen. Gehen wir vom europäischen Durchschnittswert der Militärbudgets der Alliierten aus (2,3 Prozent des BIP), so müßte Österreich sein Militärbudget auf 58 Milliarden Schilling nahezu verdreifachen. Wird beispielsweise das vergleichbare NATO-Land Belgien als Maßstab genommen, so hieße das für Österreich eine Verdoppelung seines Militärbudgets.

Eine differenzierte Kostenberechnung zeigt zudem, daß Reiter und Höfler nicht alle möglichen Ausgaben bei einer NATO-Vollmitgliedschaft ins Kalkül ziehen. Sie nennen beispielsweise nicht jenen anteilsmäßigen Betrag von bis zu 700 Millionen Schilling, den Österreich für die NATO-Osterweiterung bezahlen müßte.

Das Bundesheer eines neutralen Landes ohne Offensiv- und Interventionsabsichten würde wohl nicht ein Militärbudget von zumindest 40 Milliarden Schilling pro Jahr benötigen, wie dies bei einer NATO-Vollmitgliedschaft zu erwarten wäre. Tatsächlich konnte Österreich gerade auf der Basis seiner immerwährenden Neutralität den Militäretat auf einem im gesamteuropäischen Vergleich niedrigen Niveau halten, ohne dafür seine Sicherheit zu gefährden oder weniger Solidarität unter Beweis zu stellen. Aus den realen Bedrohungsbildern und Aufgabenfeldern für das heimische Heer lassen sich schwerlich Notwendigkeiten für eine Budgeterhöhung begründen. Dem Argument, eine eigenständige militärische Verteidigung käme teurer als eine NATO-Mitgliedschaft, liegen längst überholte militärische Denkstrukturen zugrunde: Sie geben vor, daß sich ein militärisch bedrohtes Österreich allein gegen den Rest der Welt verteidigen müßte.

Österreich ist jedoch bereits in eine vielfältige Sicherheitsarchitektur eingebunden und kann seine Sicherheit im Rahmen von UNO, OSZE oder GASP organisieren. Zweitens sind - gerade im Kontext dieser Organisationen - nichtmilitärische Maßnahmen der Gewaltprävention, der Konfliktintervention oder eines Friedensaufbaus im Gefolge von Auseinandersetzungen weitaus effizienter und nachhaltiger als die Versuche militärischer Konfliktbewältigung.

Gerade im militärischen Bereich sind die Kosten enorm hoch: sowohl was die Kriegstechnologien betrifft, die besonders kosten- und auch energieintensiv sind, als auch das Personal. Eine simple Rechnung lautet: Einige Diplomaten können Friedensverhandlungen erreichen, was Tausenden Soldaten kaum gelingt.

Die Militärausgaben sollten stets Mittel zum Zweck sein. Ob etwas kostengünstig ist oder nicht, kann letztlich nur ein sekundäres Argument sein. Gärtner und Pucher stellen in ihrer Studie die Frage, ob erhöhte Militärausgaben mit oder ohne NATO-Beitritt sinnvoll seien. Ausgaben müssen sich, so Gärtner und Pucher, stets an der Frage messen, ob ein Sicherheitsbedarf besteht und die NATO einen Sicherheitsgewinn darstellen würde. Wörtlich: "Schließt man eine Versicherung ab, so muß es zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit geben, daß sie erforderlich ist." Diese Frage kann eindeutig beantwortet werden: Eine NATO-Vollmitgliedschaft sowie die fortschreitende NATO-Integration bringen - trotz oder gerade wegen ihrer enormen militärischen Ausgaben - nicht ein Mehr sondern ein Weniger an Sicherheit.

Zum Thema Vergangene Woche veröffentlichten wir an dieser Stelle die Überlegungen Erich Reiters zur österreichischen Sicherheitspolitik und der Option eines NATO-Beitritts unseres Landes. Dem NATO-Befürworter tritt in dieser Ausgabe der Friedensaktivist und leidenschaftliche NATO-Gegner, Klaus Heidegger, entgegen. Heideggers Beitrag ist zwar keine direkte Reaktion auf den Furche-Artikel von Reiter, bezieht sich aber auf eine von Reiter mitherausgegebene Studie, deren Ergebnisse wiederum natürlich dem letztwöchigen Artikel zugrundelagen. So läßt sich also - im Sinne einer Furche-Debatte - Heideggers Analyse durchaus als Antwort auf Reiter lesen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung