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Die dritte Regierung Adenauer

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„Der ungeheure, überwältigende Erfolg des Alten”: von ihm sprachen wir an dieser Stelle, eine Woche vor den Wahlen in der Deutschen Bundesrepublik.

Nun, kurz nach diesen, haben wir, wie angekündigt, von der „notwendigen Enttäuschung der Sieger und Besiegten zu reden”.

Beginnen wir mit den Unterlegenen.

Die kleinen Parteien sind, mit zwei Ausnahmen, aus dem sichtbaren Kraftfeld der westdeutschen Politik verschwunden. Besonders eindrucksvoll ist dieses Verschwinden beim „Block der Heimatvertriebenen”, der alle 27 Mandate einbüßte, obwohl er immer noch mehr als eine und ein drittel Million Stimmen erhielt, symptomatisch ist der Untergang des „Zentrums”, das seine beiden Mandate verlor. Zugegeben: hier verschwanden zwei Relikte, zwei Ueber- bleibsel, aus der Situation und den Stimmungen der ersten Nachkriegszeit (BHE) beziehungsweise der Weimarer Zeit (Zentrum). Die Zukunft wird zeigen, ob die von der Regierung durchgesetzte rigorose Wahlordnung, die zugunsten der Großparteien von den „Kleinen” mindestens drei Direktmandate und fünf Prozent der Zweitstimmen verlangte und die Ballung in den „Großmächten” äußerst begünstigt, hier nicht konstruktive Kräfte ausgeschaltet hat, die dem harten Spiel um die Macht etwas mehr Farbigkeit, Leben, Elastizität vermittelt hätten.

Denn nun geht es hart auf hart.

Sicher nach innen, möglicherweise auch nach außen hin.

Ein Ressentiment der Unterlegenen bricht bereits auf im Wort des Propagandachefs der SPD, Heine, nach der Wahl: „Wir konnten die vereinigte Front, die sich von Washington über Bonn und Bangkok nach Moskau hinzieht und die Schwerindustrie, die Finanzwelt und einige kirchliche Würdenträger einschließt, nicht so erfolgreich bekämpfen, wie wir es vorhatten.” Diese verbitterten Worte des Geschlagenen werden im innenpolitischen Kampf der nächsten Zeit vielleicht noch manchem zu denken geben: enthalten sie doch, unter anderem, die Unterstellung, hinter dem Wahlslogan Dr. Adenauers, „Keine Experimente”, hätten sich, in ungewollter Allianz, Washington. Rom und Moskau verbündet — zu einer Abgrenzung der Sphären. Zur auf absehbare Zeit endgültigen Konstituierung der beiden deutschen Staaten.

Soll der Außenstehende über die Niederlage der deutschen Sozialdemokraten im gegenwärtigen Moment viele Worte verlieren? Die SPD unterlag der überwältigenden Persönlichkeit des Kanzlers — und der eigenen Schwäche. Sie hatte ihre neuerliche Niederlage genau nach den letzten Wahlen vorbereitet, als sie sich nicht aufraffen konnte zu einer notwendigen inneren Erneuerung und Demokratisierung und sich entschloß, bei der Herrschaft der Funktionäre und Apparate zu bleiben. Unanziehend für die Jugend, unanziehend für breite Massen, denen sie, in schöner Enthaltung, verzichtete, nationale Phrasen vorzusetzen (vielleicht wird sie dies schon morgen nicht mehr tun!), zieht diese Partei, belastet und begünstigt durch das Geschick, in den neuen Bundestag mit 169 (früher 151) Mandaten ein.

Die enttäuschten Unterlegenen haben damit eine Chance erhalten, die sie in den acht Jahren der bisherigen „Kanzlerdemokratie”, in der ein Mann mit seinen Hilfstruppen jederzeit Verfassungsänderungen im Bundestag durchdrücken konnte, niemals hatten. Verfassungsänderungen bedürfen einer Zweidrittelmehrheit. Diese besaß bisher die Regierung Adenauer, diese hat sie — das ist das Paradoxe an ihrem Sieg — jetzt verloren.

Das Programm Dr. Adenauers sieht aber noch eine Reihe von Verfassungsänderungen vor, da sich der feste Einbau seines westdeutschen Staates in die atlantische Verteidigungsgemeinschaft nur so konstituieren läßt. Also ist bereits von der „Enttäuschung der Sieger” zu sprechen. Die CDU/CSU hat die absolute Mehrheit erreicht. statt 45,2 Prozent besitzt sie jetzt 50,2 Prozent aller gültigen Stimmen Westdeutschlands — und trägt die Verantwortung für die Wege in die Zukunft.

Dr. Adenauer und die ihm nahestehenden Kreisp haben eine Koalition mit den Sozialdemokraten abgelehnt. Die ihnen verbündete Deutsche Partei hat auf Grund des Wahlbündnisses mit der CDU/CSU 17 (früher 15) Mandate erlangt. Die Freien Demokraten, die sich zu Beginn dieses Jahres von Dr. Adenauer wegen dessen „Diktatur”, wie sie sagten, getrennt hatten, haben 41 (früher 48) Mandate erkämpft. Die Verhandlungen zwischen CDU und Freien Demokraten haben begonnen: zu schmal erscheint wohl die Plattform: Eine Partei, eine Regierung (und ein kleiner Blinddarm, als Anhänger). Der gefährliche Slogan: Ein Mann, ein Reich, soll unter allen Umständen vermieden werden.

Wem wird die fernere Zukunft gehören? Das wissen wohl in diesem Augenblick die Akteure selbst noch nicht.

Wird sie, innenpolitisch, den Mittlern und Mittleren gehören? Den unbedankten Männern und Frauen der CDU/CSU, die immer im Grunde ihres Herzens für eine große Koalition .waren? Und ihren Partnern auf sozialistischer Seite? Gemeinsamer Anliegen und Nöte gibt es genug.

Der Deutsche besitzt, so scheinen zumindest die letzten hundert Jahre zu lehren, kein stark ausgebildetes Talent zur Opposition. Diese droht’ zu verwildern, zu erlahmen oder sich zu sektiererischen und radikalistischen Sonderbünden auszukristallisieren.

Der Deutsche besitzt sodann, so scheinen zumindest einige Tatsachen seiner jüngeren Geschichte zu lehren, kein sehr stark ausgebildetes Talent zum „Regieren”. Zum Regieren, in ständigem Hinhören auf die Anliegen der andersdenkenden „Untertanen” und „Mitregierten”. Diese werden auf dem Verwaltungswege befriedet ...

Auf eben diese beiden wenig gepflegten Talente wird es aber in der nahen und ferneren Zukunft ankommen, sollen nicht beide irgendwie verwildern, im Uebermut der Aemter, der Macht, der Kommandos und der ungepflegten Opposition. Wer die Auffahrt der in achtjährigem Machtbesitz saturierten Größen der Regierungspartei zu Versammlungen und Sitzungen beobachtete, kann sich nicht leicht eines unguten Gefühls erwehren. Hier ging es nicht mehr um Rede und Gegenrede, um Argumente. Hier war man da, anwesend, und herrschte. Wer die

Reden und Aeußerungen anderer Herren, auf der Linken, beobachtete, mußte, so er recht hinhörte, nicht minder erschrocken sein: hier brach ein Ressentiment auf, daß an „Umbrüche” aller Art denken ließ. Regierung und Opposition werden sich in neuen Formen finden, und das heißt auseinandersetzen müssen, soll nicht das hohe Gut ernsthaft gefährdet werden, für das sie doch beide auszogen in diesem Wahlkampf: Freiheit, Wohlstand, Sicherheit. Und doch wohl auch Demokratie.

Wieviel dabei die Sieger und die Unterlegenen Zu lernen haben, ist von Fall zu Fall verschieden. „Der liebe Gott ist im Detail”, sagt Warburg gegen Hegel. Die deutsche Freiheit wird von Fall zu Fall, im Bundestag, erkämpft oder verloren; sie kann nie und nimmer durch eine Ein-Herrschaft, durch eine Verwaltung des deutschen Volkes errungen und gesichert werden.

Beide, Regierung und Opposition, werden also reiche Gelegenheit haben, in Zukunft ihr Volk zu verantworten. Die Bedeutung des deutschen Bundestages wächst damit in einer Weise, wie die Schläfer und Mitmacher der letzten Bundestage (an die zwei Drittel zeitweise, wie Untersuchungen des Bundestages selbst ergaben) es sich nicht träumen ließen. Dies ist ein Bundestag, in dem eine Partei die absolute Mehrheit besitzt und eine andere Partei d i e Opposition schlechthin verkörpert — damit auch die Verantwortung trägt für viele deutsche Oppositionelle, die, so wissen es Gott und die Menschen, gewiß keine Sozialisten sind ...

Ein kurzes Schlußwort zur Außenpolitik. Mit der dritten Regierung Dr. Adenauer hat sich Westdeutschland für lange Zeit wohl, wenn nicht ganz Unvorhergesehenes eintritt, als ein selbständiger deutscher Staat neben dem ostdeutschen Staat konstituiert. Europa, die Welt, hat mit zwei deutschen Staaten zu rechnen. Manche, wie die Russen, tun das gerne, andere weniger gern. Was die beiden deutschen Staaten in den nächsten Jahren zueinander zu sagen haben werden, wird die Zukunft zeigen.

Oesterreich und die europäischen Länder aber werden mit dieser nun festgemauerten Tatsache konkret zu rechnen haben.

Der Dreißigjährige Krieg endete mit der Zerteilung Deutschlands in eine ganze Reihe selbständiger Staaten. Der zweite Weltkrieg endete mit der Teilung Deutschlands in zwei Staaten. Vielleicht hat nichts so sehr den Wahlsieg des Bonner Kanzlers fixieren helfen, wie das, was man die „Lehren Ungarns” und dessen Folgen genannt hat: die Fixierung der Sowjetunion in einem wieder verstarrten Blocksystem, und die Fixierung eines Teiles des Westens in einem konträren Blocksystem. Dessen wichtigster Teil, in Europa, die Deutsche Bundesrepublik ist.

Eben hier wird die innerdeutsche, wird die weltpolitische Arbeit und Auseinandersetzung morgen, nach den Wahlen, einsetzen. Die Blöcke werden ihren Nutzwert zu erweisen haben. Wenn sie dies tun, haben sie ihre Aufgabe in unserer raschlebigen Zeit voll erfüllt.

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