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Die Zukunft der Gewerkschaften

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mit denen sich de Gaulle im zweiten Teil seiner Verfassungsreform zu befassen wünscht, und dabei gilt es anscheinend, mehrere Fliegen mit einer Klappe zu erschlagen: nämlich den Senat, der nach gaullistischer Auffassung nicht mehr den ökonomischen Gegebenheiten des Landes entspricht, den unbefriedigend funktionierenden Wirtschafts- und Sozialrat, das „Feudalsystem“ der Gewerkschaften und den Wirtschaftsplan, der in Zukunft verstärkte Bedeutung haben soll. An einer entsprechenden Gesetzesvorlage wird seit Monaten gearbeitet, und man darf wohl bis zum Herbst ein neues Verfassungsreferendum erwarten. Die unerwartete Popularität des Grubenarbeiterstreiks hat den Prozeß vermutlich etwas verzögert. Verschiedene Anzeichen deuten jedenfalls darauf hin, daß de Gaulle aus diesem Zwischenfall die Lehre gezogen hat, die heikleren Fragen der Tagespolitik wieder vermehrt dem Premierminister zu

überlassen, um sich auf seine Schieds-richterposition und die innenpolitisch weniger verfänglichen internationalen Fragen zurückzubesinhen.

Seit der Rückkehr an die Macht hat sich de Gaulle ziemlich genau an das gehalten, was er während seines Interregnums angekündigt hatte. Alles deutet darauf hin, daß dabei auch die Gewerkschaften keine Ausnahme bilden werden. Im November 1947 erklärte er: „Es ist nur zu klar, daß die Gewerkschaften — so wie sie sind — ein Lehenswesen bilden, und ich füge hinzu: ein Lehenswesen, das durch die Partei des Auslandes dominiert wird. In der gegenwärtigen gewerkschaftlichen Situation ist es unmöglich, die Assoziation der wirtschaftlichen Kräfte für den französischen Wiederaufbau und für die französische Erneuerung zu organisieren. Deshalb ist es notwendig, die Gewerkschaften denjenigen zu entreißen; die sie zum Nutzen ihrer Politik mißbrauchen, und sie jenen zurückzugeben, denen sie gehören müssen: nämlich den Berufstätigen.“ Die neue Rolle der Gewerkschaften in einer Art Assoziation von Arbeit, Kapital und Lenkung wurde von de Gaulle im Dezember 1948 genauer umschrieben: „Die Gewerkschaften werden innerhalb des Berufes alles in die Hand nehmen, was der Verbesserung des Ertrags dienen kann. In jenem Metier werden ihnen in erster Linie die technische Ausbildung, das Lehrwesen und die Qualifikation obliegen. Sie werden dabei helfen, die Kapazitäten aufzuzeigen, die das berufliche Interesse zu fördern empfiehlt. Schließlich sollen die französischen Wirtschaftstätigkeiten durch ihre Mitwirkung im Staate repräsentiert werden, wie es sich gehört.“

Bis zur Stunde ist allerdings wenig zur geplanten Verfassungsreform bekannt geworden. Im Zentrum steht die Absicht, eine Kammer zu schaffen, die eine angemessene Repräsentation der großen Wirtschaftssektoren des Landes ermöglicht. Der Senat kann diesen Anspruch nicht erfüllen, weil er eine politische Zielsetzung hat und durch seinen Wahlmodus eine unverhältnismäßig starke Vertretung der Agrar-regionen aufweist. Auch der Verteilungsschlüssel des Wirtschafts- und Sozialrates, der die Regierung in den

einschlägigen Fragen beraten soll, führt zu einer mehr zufälligen denn repräsentativen Zusammensetzung dieses Technokratengremiums. De Gaulies Absicht scheint es nun zu sein, diese beiden Institutionen durch eine Ver-

sammlung zu ersetzen, die sich aus den Interessenvertretern aller Wirtschaftszweige zusammensetzt und die Regierung bei ihrer Wirtschaftspolitik und der Ausarbeitung des Planes beraten soll.

Gefahr der Zersplitterung

Die französischen Gewerkschaften haben die gaullistische Offensive nach der schweren Niederlage der Parteien kommen sehen. Es ist ihnen auch keineswegs verborgen geblieben, daß das Gewerkschaftswesen in einem Wandel begriffen ist, der mit dem traditionellen Charakter der sozialen Streitbarkeit und dem quasi religiösen Sozialismus blicht. Sie haben erkannt, daß die Interessen der Arbeitnehmer nicht mehr allein im berufsklassenweisen Lohn- und Streikkampf wahrgenommen werden können. Der Fortschritt der Wirtschaftslenkung hat in Frankreich eine Menge neuer Planungszentren geschaffen, wo die Gesichtspunkte der zuständigen Berufsverbände geltend gemacht werden müssen. Ferner hat der Siegeszug der vierten Ferienwoche — der bei Renault seinen

Anfang nahm — erneut die Notwendigkeit unterstrichen, auch die Erwerbstätigen in einzelnen Unternehmungen zu organisieren. In dieser Entwicklung lauert eine Gefahr der gewerkschaftlichen Zersplitterung, die den korporativen Vorstellungen de Gaulles durchaus entgegenkommt.

Stimme der Kirche

Nach den Erfahrungen des Bergarbeiter-Streiks fühlen sich die Gewerkschaften in ihrem Willen bestärkt, der traditionellen kämpferischen Vokation nicht untreu zu werden. Sie erfreuen sich dabei einer kräftigen Unterstützung durch die katholische Kirche, die der gaullistischen Offensive gegen die Gewerkschaften somit entgegenwirken möchte. „Es ist wirklich bedauerlich“, schrieb der Bischof von Arras, „daß

sich Menschen, Christen gegen die Gewerkschaften aussprechen ... Sollen sie dort doch mutig Platz nehmen!“

Trotz ihrer Sympathien für die Wirtschaftsplanung haben die Gewerkschaften indessen das Mißtrauen gegenüber der „konzentrierten Wirtschaft“ der Regierung nicht aufgegeben. Sie sehen in der gaullistischen Planung den gefährlichen Versuch, sie an der Beschlußfassung zu beteiligen und für eine Wirtschaftspolitik zu verpflichten, deren Kontrolle ihnen letztlich doch entgeht. Es wird sogar von einer „Afrikanisierung“ der Gewerkschaften gesprochen, die das Prinzip der freien Lohnverhandlungen und das Streikrecht beschneiden und ihre Vertreter zu Staatsfunktionären machen soll. Dieser Absicht wird die Alternative der „demokratischen Planung“ entgegengehalten, der logische Ausbau der Wirtschaftsdemokratie, wie er auch von Mendes-France und Pflimlin gefordert wird: Das heißt, die Beteiligung der Gewerkschaften an politischen und administrativen Gremien ohne Einschränkung ihrer Handlungsfreiheit.

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