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Wetterprognose auf lange Sicht

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Die tägliche Wettervorhersage, wie sie durch die amtlichen Wetterdienste auf der ganzen Erde durch Presse und Rundfunk verbreitet wird, bezieht sich in 90 Prozent der Fälle auf einen Vorhersagezeitraum von 24 Stunden, nur in einzelnen Fällen werden amtliche Prognosen für mehrere Tage gegeben. In der breiten Öffentlichkeit wird dies begreiflicherweise als ein fühlbarer Mangel empfunden. Ist es doch so, daß gerade im privaten und öffentlichen Leben Dispositionen meist auf einige Tage getroffen werden müssen. Es ist daher nur zu gut zu verstehen, wenn die amtlichen Stellen zeitweise durch zahllose Anfragen bestürmt werden, wie denn in den nädisten Tagen das Wetter sei, und darüber hinaus, welche Witterung in den nächsten Wodien oder gar in einer ganzen Jahreszeit zu erwarten sei. Die Antwort wird in den meisten Fällen eine arge Enttäuschung sein; denn der Meteorologe wird nur in den seltensten Fällen in der Lage sein, einigermaßen präzise Auskunft über den Vorhersagezeitraum von 24 Stunden hinaus geben können. Worin liegt nun hier die Ursache und warum ist es bei dem ungeheuren Aufwand, den die verschiedenen Staaten "für den Wetterdienst sich leisten, nur möglich, so kurzfristige Vorhersagen zu geben? Und weiter: leisten solche kurzfristige Prognosen auch tatsächlich so viel, daß der erwähnte Aufwand seine Rechtfertigung findet? Diese letzte Frage ist unbedingt zu bejahen, obwohl, wie gesagt, in der Öffentlichkeit vielfach die Ansichten darüber geteilt sind. Aber ganz abgesehen von dem lebenswichtigen Nutzen, den eine wettermäßige Beratung des Flugverkehrs damellt, sind zahllose Stellen der Wirtschaft und Technik auch an kurzfristigen Wettervorhersagen interessiert und schöpfen aus ihnen großen Vorteil. Immerhin wäre natürlich ein Erweiterung des Prognosenzeitraums sehr erwünscht. Man kann jedoch der Meteorologie nicht den Vorwurf machen, daß sie sich nicht auch schon seit langer Zeit mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln diesem Problem gewidmet hat. Allerdingis muß leider festgestellt werden, daß das Ergebnis dieser Forschung bis heut recht dürftig ist.

Die Grundlage für die kurzfristige Wetterprognose ist die sogenannte Wetterkarte. Sie gestattet, den in einem bestimmten Zeitpunkt in einem größeren Gebiet, etwa in ganz Europa, herrschenden Wetterzustand zu überblicken. Und die Prognosentätigkeit besteht nun darin, aus diesem momentanen Zustand auf den in einem kürzeren Zeitraum zu erwartenden zu schließen, wobei die Gesetze der Physik und dort, wo diese infolge der Vielfalt der beteiligten Faktoren nicht exakt anwendbar sind, physikalische oder aus der Erfahrung gewonnene Regeln benützt werden. Da aber der Vorgang beim Wettergeschehen eben das Resultat einer ungeheuren Anzahl von Faktoren ist, die in einer äußerst komplizierten Weise ineinandergreifen, so wird jede Vorschau auf die zukünftige Entwicklung um so problematischer, je größer der Zeitraum ist, für den diese Vorschau gelten soll. Mit einer rein physikalischen Methode können wir also nicht zu einer langfristigen Wettervorhersage gelangen.

Die tägliche Wetterprognose, die abschätzt, wie sich die Luftmassen verlagern werden, welche Temperaturänderungen in dem Prognosenbezirk auftreten dürften, wo Wolkenbildungen, wo Wolkenauflösungen zu erwarten sind und dergleichen mehr, kann für diesen Zweck rein physikalische Gesetze anwenden, bei der langfristigen Prognose wird ein solches Beginnen hoffnungslos. Man muß also vollkommen andere Wege einschlagen. Einmal besteht die Möglichkeit, die an vielen Stationen gewonnenen langjährigen Beobachtungsreihen der verschiedenen meteorologischen Elemente zu einer Wettervorschau zu verwenden. Diese sogenannten Durchschnittswerte oder klimatologischen Mittelwerte gestatten aber nur eine sehr begrenzte Auswertung für langfristige Wettervorhersagen. In den meisten Fällen wird nämlich der sogenannte „mittlere Zustand“ oder das im Mittel zu erwartende Wetter gar nicht interessieren, da im Einzelfall erhebliche Abweichungen von den Mittelwerten auftreten können und gerade diese Abweichungen besonderes Interesse haben. Mit anderen Worten, es wird meist weniger interessieren, wie lange im Durchschnitt zum Beispiel in Wien noch im Frühjahr Frost auftritt, sondern man wird für ein spezielles Jahr wissen wollen, ob das Frühjahr lange auf sich warten lassen wird oder nicht. Immerhin gibt es auch für diese Mittelwerte ine gianze Reihe von Interessenten in Wirtschaft und Technik, eben solche Stellen, die irgendein Unternehmen auf längere Sicht planen, etwa für mehrere Jahre, und dann natürlich mit Hilfe solcher Durchschnittswerte die Wirtschaftlichkeit ihres Vorhabens überprüfen können. Wenn zum Beispiel eine Stelle beauftragt ist, den Heizbedarf eines größeren Unternehmens festzustellen, so wird ihr dazu die mittlere Anzahl der Frosttage, beziehungsweise die Angabe extremer Temperaturwerte große Dienste leisten; da sich das Projekt auf viele Jahre erstreckt, wird sich ein etwa in einem extrem kalten Winter ver ursachter Mehrverbrauch in einem der nächsten wärmeren Jahre wieder herauswirtschaften.

Aber das eigentliche Problem langfristiger Vorhersagen kann natürlich nicht durch Angabe solcher Durchschnittswerte gelöst werden. Man hat nun verschiedene andere Wege einzuschlagen versucht, an denen nahezu alle Nationen beteiligt waren. So war es in Deutschland vor allem das Institut für langfristige Wettervorhersage unter Leitung des Meteorologen Bauer, das durch Einführung des Begriffes der sogenannten Großwetterlage und durch weitgehende Verwendung der Methode der sogenannten „ähnlichen Fälle“ versuchte, zu einer regelmäßigen zehntägigen Prognose zu gelangen. Es handelt sich hier also im wesentlichen darum, durch Anwendung statistischer Methoden einen Anschluß an die kurzfristige Vorhersage, also an die physikalische Methode, zu gewinnen, wobei auch die bei den Meteorologen bekannte sogenannte „Erhaltungstendenz“ gewisser Druckgebilde eine Rolle spielt. Die Methode der „ähnlichen Fälle“, die darauf basiert, daß in umfangreichen Wetterkartenkatalogen früherer Jahre ähnliche Wetterlagen in der betreffenden Jahreszeit gesucht werden und dann mit mehr oder weniger großer Wahrscheinlichkeit auf einen ähnlichen Verlauf der Witterung geschlossen wird, hat auch in anderen Ländern die Wissenschaft immer wieder beschäftigt. So verwendete auch der russische Forscher Multanovski. diese Methode bei seiner langfristigen Wettervorhersage zusammen mit sogenannten zusammengesetzten Wetterkarten, die den Wetterzustand in einem größeren Gebiet für einen längeren Zeitraum veransdiaulidhen sollen. Die besondere Eigenheit Multa- novskis ist eine Vorstellung über den Wetterablauf in gewissen Zeiträumen nach natürlichen Perioden, so daß sein Vorhersagezeitraum nicht immer derselbe ist, sondern sich von Vorhersage zu Vorhersage ändern kann. Beide Systeme wurden schon lange vor dem Krieg mit teilweise beachtlichem Erfolg verwendet, erfordern aber jedenfalls einen sehr großen zusätzlichen Aufwand, also ein eigenes Institut, das laufend die umfangreichen statistischen Rechnungen durchzuführen hat. Eine andere Methode verwendet die Vorstellung, daß auf der Erdoberfläche gewisser Gebiete die sogenannten Aktionszentren maßgebend an der Wetterentwicklung in größeren Zeiträumen beteiligt sind, wobei im Zuge der Erforschung dieser Aktionszentren gefunden wurde, daß gewisse Perioden \im Aufbau und Abbau dieser Zentren auftreten. Man hat also versucht, ohne vorerst einen direkten lückenlosen Zusammenhang finden zu können, mit Hilf der Methoden der theoretisdien Statistik die verschiedensten Witterungsabläufe an einem Punkt der Erdoberfläche mit Erscheinungen an anderer Stelle in Beziehung zu setzen. Besonders der englische Forscher Walker hat sein Lebenswerk dieser Aufgabe gewidmet, zunächst im besonderen Hinblick auf eine Vorhersage der Intensität des indischen Monsuns. Wie dies aber leider bei solchen rein statistischen Untersuchungen meist der Fall ist, wird man durch anfängliche Erfolge leicht über die Berechtigung der entsprechenden Schlußweise hinweggetäuscht, und spätere Mißerfolge bleiben dann nicht aus. So waren die Vorhersagen des indischen Monsuns durch etliche Jahre hindurch als recht befriedigend zu bezeichnen, aber im weiteren Verlauf zeigten sich dann erhebliche Abweichungen von der erwarteten Witterung. Trotz der ungeheuren geleisteten Arbeit kann auch diese Methode also nicht befriedigen. Der russische Gelehrte Wiese setzte das Wetter im Südosten der UdSSR in Beziehung zu dem Grade der Vereisung, den das Nordmeer im vorhergegangenen Sommer aufwies, und konnte dadurch recht beachtliche Niederschlagsvorhersagen iliefern. Seine Methode hat überhaupt unter den verschiedenen der Langfristprognose etwas Bestechendes, da hiebei eine gewisse physikalische Begründung möglich ist.

Schließlich mögen hier noch die zahlreichen Versuche Erwähnung finden, extraterrestrische Einflüsse für die Wetterentwicklung längerer Zeiträume verantwortlich zu machen, wobei besonderes Interesse jene Untersuchungen verdienen, die die wechselnde Sonnaktivität, speziell während der Fleckenperioden, in Beziehung zu den Witterungsabläufen auf der Erdoberfläche zu bringen versuchen. Zahllos sind die diesbezüglichen Arbeiten, und besonders bemerkenswert erscheinen in diesem Zusammenhang die Untersuchungen des Amerikaners Abbot, der sich durch seine Messungen der Intensität der Sonnenstrahlung im Rahmen der Smithonian Institution einen Namen gemacht hat. Aber auch bei diesen Untersuchungen ist das bisherige Ergebnis dürftig und für eine Wettervorhersage keineswegs geeignet.

Dieser kurze Überblick mag nur ein ungefähre Vorstellung vermitteln, wie zahlreich und vielgestaltig die wissenschaftlichen Untersuchungen sind, die sich mit dem Problem einer Verbesserung und Erweiterung der Wetterprognose bereits beschäftigt haben, aber auch, welche Schwierigkeiten sich diesen Bestrebungen in den Weg stellen. Jedenfalls muß es aber die Wissenschaft ablehnen, mit dürftigen Teilergebnissen bereits in die Öffentlichkeit zu treten, und es wird daher noch geraume Zeit dauern, bis das Problem der langfristigen Wettervorhersage jenen Grad der Genauigkeit für sich in Anspruch nehmen kann, den die kurzfristige Tagesprognose heute bereits besitzt.

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