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Einst Idyll, heute Geisterdorf

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Bint Dschebeil ist ein pittoreskes Fünfzehntausend-Seelen-Land Städtchen im Südlibanon. Es liegt fünf oder sechs Kilometer, eine knappe Wegstunde also, oberhalb der Grenze zum (israelischen) Galil. Die Felder der Bauern reichen bis direkt an die Demarkationslinie. Ihr Verlauf hat hier das jahrtausendelang zusammengehörige biblische Land höchst unnatürlich auseinandergerissen.

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Bint Dschebeil ist ein pittoreskes Fünfzehntausend-Seelen-Land Städtchen im Südlibanon. Es liegt fünf oder sechs Kilometer, eine knappe Wegstunde also, oberhalb der Grenze zum (israelischen) Galil. Die Felder der Bauern reichen bis direkt an die Demarkationslinie. Ihr Verlauf hat hier das jahrtausendelang zusammengehörige biblische Land höchst unnatürlich auseinandergerissen.

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Früher herrschte hier ein der Heimat des Nazareners Isa Ben Mirjam, wie ihn die Moslems nennen, wohl anstehender Frieden. Dieses Idyll ist anscheinend unwiederbringliche Vergangenheit. Seit dem Ende des Sechstagekrieges ist hier eine „heiße Grenze“. Das Städtchen wurde zu einem der äußersten Endpunkte der drei illegalen Verbin-dungs-, Flucht- und Nachschubpfade der Palästinaguerillas. Sechzig bis siebzig Prozent der Bevölkerung verließen (wie selbst die amtliche Statistik zugibt, neun Zehntel, wie- der Augenschein beweist) in den letzten Monaten Bint Dschebeil. Durch die ausgestorben daliegenden Gassen fegen der Wind und ein paar schaurig heulende verwilderte gelbe Hunde, die nach Fressen suchen.

Die Politik der nahezu vollständigen Isolierung dieses El-Fatah-Landes und die unzähmbare Natur machen das ganze Gebiet um das Distriktszentrum Bint Dschebeil schutzlos gegen den Terror der überall auftauchenden und nirgends greifbaren Guerillas ebenso wie gegen feindliche Vergeltungsaktionen. Die Fluchtbewegung hält denn auch an. Die offiziellen und privaten Gesamtschätzungen schwanken jetzt zwischen fünfzehntausend und dreißigtausend Flüchtlingen. Die Absetzbewegung erreicht erstaunlicherweise von Dorf zu Dorf ganz unterschiedliche Größenordnungen. In den muselmanischen ist sie umfassender als in den christlichen Siedlungen. Das läßt nicht etwa darauf schließen, daß die Christen gemeinsame Sache mit den Freischärlern machen würden. Im Gegenteil: Ihr Widerstand ist größer als jener der Moslems. Ein Beispiel dafür ist der kleine Bergkurort Kachaleh. Hier kam es schon Ende März zu einer bewaffneten Auseinandersetzung zwischen Bürgern und Guerillas, Milizionäre der christlichen „Phalanx“ des Beiruter Apothekers Pierre Gemajel trieben die Anhänger Jassir Arafats in die Flucht. Seitdem meiden die Guerillas Kachaleh.

Wie dort, ist es auch in anderen christlichen Siedlungsgebieten. Die Maroniten, geschult durch eine jahrtausendealte Feindschaft mit der muselmanischen Umwelt, sind ein zäher Menschenschlag. Sie verteidigen entschlossen Haus und Hof und weichen nicht so leicht vor dem Terror zurück. Anders die Moslems. Auch sie, besonders die Sunniten, haben wenig übrig für die Palästinenser. Sunitische Bauern schössen sogar auf die Freischärler. Ihre schi'itischen Glaubensbrüder gewähren den Arafat-Leuten zwar manchmal Unterschlupf, wenn sie nicht anders können, ihre Anteilnahme an deren Kampf beschränkt sich aber auch nur auf unverbindliche Solidaritätsbekundungen. Doch während die Christen ausharren und dadurch Widerstand gegen die „Fatachisie-rung“ ihrer Heimat leisten, flüchten die Moslems in hellen Scharen. Sie begehen den gleichen Fehler wie ihre Landsleute im Palästina von 1948 und 1967.

Die Armee kann die Menschen nicht schützen — weder vor den Israelis noch vor den Palästinensern. Für letztere hegt sie allerdings offiziell wenig Sympathien. Im Beiruter Hauptquartier bekommt man offen zu hören, die Armee könnte den Freisohärlerspuk leicbit beenden, doch sie stoße auf den Widerstand des (miuselmanischen) Premiers Kerami und seines (guerillafreundlichen Innenministers Dschumblat. Man kann bezweifeln, ob das zutrifft. Der Süden ist — ausgenommen sind nur einige christliche Enklaven — wieder fest in der Hand der Palästinenser. Seine Dörfer bluten aus. Am Rand der Großstädte im Norden entstehen regelrechte neue Flüchtlingslager, angefüllt mit einem entwurzelten Landproletariat, das eine weitere schwere Gefähr für die Regierung danstellt.

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