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HUSSEIN II / WARTEN AUF DEN JORDANISCHEN STURZ

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„Dieses Land ist nur noch ein lebender Leichnam!” „Der König ist schon lange tot, er weiß es nur noch nicht!” „Wir wollen den Sieg und keinen Kompromißfrieden!”. Das ist gegenwärtig der Kehrreim aller politischen Gespräche unter Jordaniern. In Amman herrscht Umsturzstimmung. Die unübersichtlichen Straßenschluchten der Sieben- Hügel-Stadt brodeln und gären trotz Ausgangssperre, Belagerungszustand und Massenverhaftungen.

Die Unruhen begannen am 2. November, dem 51. Jahrestag der Balfour-Deklaration, in der Großbritannien den Juden eine nationale Heimstätte in Palästina versprach. An diesem Tag versammelten sich etwa 10.000 Palästinenser zu einer Protestdemonstration, Zuerst zogen sie ruhig durch die Innenstadtstraßen. Dann sprach der Nationalistenführer Suleiman Nabulsi. Der 58jährige frühere Ministerpräsident ist gebürtiger Palästinenser und geschworener Feind Husseins. Doch er kannte die bestehenden Machtverhältnisse und wollte offenbar nur ein beschränktes Risiko. So schlug er die Amerikaner und meint den kleinen König Hussein.

Amman ist inzwischen völlig abgeriegelt vom übrigen Land. Niemand gelangt durch die überall errichteten Straßensperren. Beduinentruppen umzingelten zwei Flüchtlingslager, und gegenwärtig rollt eine umfassende Verhaftungswelle. Die Geheimpolizei stützt sich dabei offensichtlich auf vorbereitete „schwarze Listen”. Am Dienstag blieb man zwar noch teilweise bei den Belagerungsmaßnahmen, aber es herrschte wieder Ruhe. „Militärausschüsse” beschäftigten sich mit der Untersuchung der Zwischenfälle.

Der König stützt sich noch immer auf zwei Säulen: die ihm treu ergebenen Beduinen und den Geheimdienst. Erstere sind todesmutige, gut ausgebildete und hervorragend bewaffnete Soldaten. Letzterer funktioniert ungewöhnlich zuverlässig — hauptsächlich wegen seiner zahlreichen englischen Angehörigen. Die Beduinenregimenter, die um die Hauptstadt zusammengezogen sind, erhielten erhebliche Verstärkung. Hussein blieb jedoch Sieger nur durch einen nicht von ihm beeinflußten Umstand: Die Unruhen entstanden mehr zufällig und waren kein organisierter Putschversuch. Die drei stärksten Untergrundorganisationen distanzieren sich sogar davon.

Die Feuergefechte beweisen, wie gefährlich die gutbewaffneten antimonarchistischen Kräfte sind. Ihre Rekruten erhalten einen monatlichen 20-Dinar-Sold (mehr als die regulären Soldaten) und verfügen unter anderem über automatische „Kalatschni- kow”-Gewehre und 130-mm-Ra- keten. Mit ihnen sympathisieren mindestens Teile des Offizierskorps und der Mannschaften der „Arabischen Legion”. Einig sind sie sich vor allem in der Ablehnung aller Kompromißbemühungen.

Ammaner Beobachter halten es für möglich, daß die gegenwärtigen Unruhen den auslösenden Faktor abgeben für weitere und organisierte Umsturzversuche. König Hussein könne sich gegen solche dann kaum so gut behaupten wie diesmal.

Wie lange sich Hussein noch hält, liegt weniger an ihm als an der Strategie seiner Gegner. „El-Fatah” („Die Eroberung”), die mächtigste Palästinensergruppe, verspricht sich von der indirekten Herrschaft mehr als von einer direkten Revolution. Käme es zu ihr, wäre das sicher das Ende Jordaniens. ‘Kein Geheimnis sind gewisse syrische und irakische Ansprüche auf jordanisches Gebiet. Auch Saudi-Arabien hatte früher solche Forderungen. Sie ließe man gewiß wieder aufleben, würde das Land Republik. Israel bliebe wohl gleichfalls nicht untätig. Es hat jetzt noch wesentlich mehr Grund zu der König Hussein vor dem Krieg gegebenen „Garantie”. Sie lautete, Israel werde einmarschieren, komme es zu einer gewaltsamen Veränderung der politischen Verhältnisse Jordaniens. Nur rettet diese Garantie heute wahrscheinlich nicht mehr den Kopf des Monarchen. Die Palästinenser haben zuwenig zu verlieren, um sich noch von ihr einschüchtern zu lassen.

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