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50 Prozent bewachen 50 Prozent

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Die Entführung eines Linienflugzeuges der jordanischen Luftfahrtgesellschaft „ALIA“ vom Typ Caravelle durch bislang nicht identifizierbare Hijacker werten Kenner der Verhältnisse im Vorderen Orient übereinstimmend als erstes ernstes Symptom für die durch die Beschlüsse der arabischen Gipfelkonferenz von Rabat ausgelöste schwere Existenzkrise des haschemitischen Königreiches Jordanien.

Der Name der Organisation, welche die Verantwortung für den Piratenakt übernahm, lautet .freie nationalistische jordanische Offiziere“. Da es in den jordanischen Streitkräften sowohl königstreue als auch propalästinensische Untengrundgruppen gibt, verführte dieser Name zunächst zu der Annahme, es handle Sich um die Protestaktion transjordanischer Patrioten.

Die Regierung scheint Weiterungen nicht auszuschließen. Sie verstärkt die Sicherheitsvorkehrunge’n auf dem Flughafen und in der ganzen Hauptstadt. Amman machte zum erstenmal seit dem .Schwarzen September“ von 1970 wieder den Eindruck eines Heerlagers. Schon bislang erstarb nach Einbruch der Dunkelheit jedes Leben in den Straßen. Diese gehörten dann ausschließlich den schwer bewaffneten Armee- und Polizeipa- trpuiUeh. Jetzt wimmelte es auch tagsüber von Polizisten und Armeestreifen, und gepanzerte Fahrzeuge fuhren pausenlos umher und bewachten öffentliche Gebäude, Plätze und strategische Punkte.

In der Bevölkerung herrscht gedrückte Stimmung. Nach der Rabater Gipfelkonferenz hatten die Palästinenser unter ihr sich wieder durch selbstbewußtes Auftreten hervorgetan. Jetzt halten sie sich noch einmal zurück. Die Monarchie ist nicht tot, und sie müssen befürchten, daß die Sicherheitskräfte beim geringsten Anlaß an ihnen ihr Mütchen kühlen. Trotz des bevorstehenden Wintters, der dort in Jordanien sehr kalt und regnerisch werden kann, karrt ein genialer amerikanischer Reiseunternehmer noch immer individualistische Touristen, darunter erstaunlich viele Mormonen in ihrer charakteristischen Tracht, ins Land. Beschützt werden sie von ebenso unauffälligen wie aufmerksamen Geheimdienstbeamten, die man überall trifft, am Postschalter wie in den Hotelhallen. Sie haben nebenbei ein wachsames Auge auf die eigenen Landsleute. Einer von ihnen bewacht eigens einen Freund König Husseins aus dem Offizierskorps, damit er „keine Dummheiten macht“. Die Furcht vor der Geheimpolizei wird nur noch von der Furcht von israelischen Agenten übertroffen.

König Hussein hat angekündigt, er wolle sämtliche Palästinenser aus Regierung und Verwaltung entfernen. Auch die beiden Häuser des Parlamentes, in denen die Hälfte der Sitze von „Westjordaniem“ besetzt werden, sollen umstrukturiert werden. Die Unterstützungszahlungen für die Beamten im besetzten Gebiet will man einstellen. Dafür sei jetzt die PLO verantwortlich. Wer sich als Palästinenser fühlt, soll das Land verlassen können.

Werden diesfe Ankündigungen wahrgemacht, so steht Transjorda- nien vor einer schweren Staatskrise. Es müßte Dutzende von Ministern und Abgeordneten und Tausende von Diplomaten, Verwaltungsbeamten und Polizisten schlagartig ersetzen. Kenner der Verhältnisse halten es für ausgeschlossen, daß sich in der transjordanischen Beduienbevöl- kerung so rasch Ersatz finden läßt. Von den achthuniderttausend Flüchtlingen leben hierzulande nur noch 209.000 in Lagern und genießen etwa 570.000 Flüchtlingsstatus. Fast 400.000 integrierten sich in die Bevölkerung und über 230.000 verzichteten auf den Flüchtlingsstatus. Sie bilden die intellektuelle Elite des Beduinenstaates. Ohne sie sind Verwaltung, Wirtschaft, Rechtsleben, ärztliche Versorgung und Informationswesen nicht vorstellbar.

Wie der Monarch dieses Problem lösen will, ist einstweilen noch sein Geheimnis.

Viele etablierte Palästinenser fühlen sich zwar der alten Heimat verbunden, würden jedoch ungern auf ihre Pfründe verzichten. Für sie ist die Angliederung Transjordaniens an den neuen Staat Palästina die vorzuziehende Lösung. Beduinen und Offizierskorps schwanken zwischen der Aufrechterhaltung der Ansprüche auf Westjordanien und damit der Rettung der gegebenen Infrastruktur, oder dem vom König angesteuerten völligen Verzicht, eingeschlossen einen Thronwechsel zugunsten des energischen Kronprinzen Hassan. Zu allem Überfluß drängen die arabischen Nachbarn nach Wiederaufnahme der Guerilla gegen Israel. Im Lande macht sich Mutlosigkeit breit. Sie äußert sich im Bekenntnis eines prominenten Transjordaniers: „Wenn wir überhaupt noch Freunde haben, sind es ausgerechnet die Israelis“. Tatsächlich ist der israelische Grundsatz, keine gewaltsame innenpolitische Veränderung in dem Nachbarland dulden zu können, für die Haschimitenmonarchie gegenwärtig der stärkste Damm vor dem Untergang.

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