Zerreißen und Spalten

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In seinen spannenden Essays zur Moderne erkennt Werner Hofmann die uralte Geschichte des Umgangs mit Ambivalenzen wieder.

Für Menschen, die die Welt gerne in eingängige Definitionen verschnüren, um das Denken und Differenzieren möglichst überflüssig zu machen, ist die Frage nach der Moderne eine harte Nuss. Werner Hofmann hatte viel Gelegenheit, sich an einer solchen abzuarbeiten. Er leitete als Gründungsdirektor neun Jahre lang das Museum des 20. Jahrhunderts in Wien und danach bis 1990 die Hamburger Kunsthalle. Aus den im vorliegenden Buch gesammelten Essays zur Moderne spricht denn auch die Lebenserfahrung eines Intellektuellen, der den Glauben, die Welt ließe sich eindimensional abhandeln, stets für eine ideologische Chimäre gehalten hat - und genau diese Einsicht als spannend empfand. Der Autor vermittelt zudem, dass die Kunst immer nur ein besonders sensibles Ortungssystem für gesellschaftliche Vorgänge darstellt. Daher verweist das Buch über die Kunst hinaus auf die Epochenbewegung der Moderne ganz allgemein. Mit solchen Vorlieben bewegt man sich selbstredend bereits in einem modernen Bewusstsein.

Nun mag es eine wenig spektakuläre Einsicht sein, die Moderne durch den Bruch von geschlossenen Weltbildern und die Zerstörung des affirmativen Pathos philosophischer Versöhnungsgeschichten zu charakterisieren. Das Aufregende an diesem so schmalen wie gehaltvollen Buch ist, dass Hofmann in diesem Bewusstsein die uralte Geschichte des Umgangs mit Ambivalenzen wiedererkennt und sie als Wurzelgrund der Moderne aus der Ideengeschichte herausseziert. Eine Voraussetzung dafür ist, die Abweichungen von kultur- und stildefinierenden Normierungen von der Verlust- in die Gewinnrechnung überzuführen. Ein solcher Paradigmenwechsel wurde in der Kunst- und Kulturgeschichte nicht zuletzt von der Wiener Schule angeregt und hat weitere Kreise gezogen. Julius von Schlosser, Hans Sedlmayr, Ernst Gombrich, Aby Warburg - ein Teil von ihnen wird in hervorragenden Essays gewürdigt - unternahmen eine Neubewertung sogenannter Verfallsperioden, denen ein eigenes Kunstwollen zugesprochen wurde. In Hofmanns Relektüre: Die Moderne ist in der langen Tradition der abendländischen Philosophie und Kunst stets präsent. Seine bevorzugten Tummelplätze sind dann auch der Manierismus, Nietzsches Janusköpfigkeit, die Karikatur und - in neuerer Zeit - die radikalen Nullpunkte und Neueinstiege in ästhetische Niemandsländer bei Duchamp oder Picasso.

Man könnte das Geschäft der philosophischen Dompteure, die dem Publikum die hohe Schule der Dressur des Unharmonischen vorführen, nicht besser beschreiben, als mit der Formel des Pico della Mirandola von der Harmonie als discordia concors. Demgegenüber bliebe das ständige Gestalten und Umgestalten, das stetige Fließen, die Kraft des Trennens das Mephistophelische - und eben das Moderne. Der Traum von der Ewigkeit des glücklichen Augenblicks zerstiebt in dieser Welt immer wieder im Zerreißenden und Spaltenden im Menschen und der Natur, im immer nur Vorläufigen.

Immer nur vorläufig

Das ist vermutlich auch gut so, denn nichts zeitigte in der Vergangenheit so viel Böses wie die Realisierungsversuche der Utopien einer neuen Gesellschaft und eines neuen Menschen. Wer von der gespaltenen Moderne spricht und Weltbilder zerbrechen lässt, gibt dem Menschen auch die Aufgabe, diese Welt allen Rückschlägen zum Trotz täglich besser und sicherer zu machen und auf die Bedrohungen der Offenheit zu achten. Und doch bleibt der Sinn der ständigen Auflösung jeder instrumentell gewordenen Vernunft als wesentliche Aufgabe des Projekts der Moderne paradoxerweise immer vom Traum einer normierten Harmonie her gesteuert, so wie in der Kunstgeschichte eben erst der Manierismus die Klassik zum Ideal erhoben hat.

Die gespaltene Moderne

Aufsätze zur Kunst

Von Werner Hofmann

Verlag C.H.Beck, München 2004

208 Seiten, kart., e 20,50

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