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Am Thema vorbei

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„Mozart und seine Umwelt“: ein faszinierendes, ein wichtiges Thema! Leider wurde es von der Tagung des Zentralinstitutes für Mozartforschung verschenkt, wenn nicht verfehlt. Dafür gibt es verschiedene Ursachen; ich nenne die wichtigsten. Die Form der Tagung, die sich an ausgelaugte Rituale des wissenschaftlichen „l'art pour l'art“ hält, das heißt, sich auf eine wissenschaftsinterne Kommunikation beschränkt, steht dem umweltbezogenen Thema im Grunde entgegen. Ist damit auch die geschichtliche Umwelt Mozarts gemeint, so doch wohl in deren Auswertung die Beziehung zwischen dem künstlerischen Individuum und seiner Umgebung, aus der es hervorgegangen ist und die es — unter anderem — geprägt hat. Analog wäre eine Beziehung zwischen Kunstpraxis und Werkbetrachtung, zwischen Quellenstudium und Nutzanwendung schon in der Konzeption einer solchen Tagung herzustellen.

Es scheint aber, als sei die gewählte Form — die Abfolge vorbereiteter Referate mit einer durch den Zeitdruck auf bloßes Nachfragen beschränkten „Diskussion“ — auch bedenklich mozartfremd. Zwar kann es nicht Aufgabe einer wissenschaftlichen Tagung sein, „mozartischen Geist“ — was immer das sei — in sie einzubringen, aber wie sich im musikalischen Werk immer auch ein bestimmtes Denken, ein spezifischer Umgang mit der schöpferischen Phantasie widerspiegelt, so kann dieses Werk nur sinnvoll auf den Begriff gebracht werden, wenn die Annäherung analog geschieht: das heißt in diesem Fall mit möglichst wenigen, dafür aber konkret und konzis gefaßten Vorgaben und thematisch möglichst weit gefaßter, dynamisch sich aufbauender Diskussion. Hier entsteht der Eindruck, als leiste die Tagung nur Erfüllungshilfe für eine weitere Folge des Mozart-Jahrbuches und habe ihren eigentlichen Wert in privater Kommunikation, die aber nicht der Beurteilung unterliegt.

Der Grundfehler scheint mir zu sein, daß das Thema „Mozart und seine Umwelt“, vor allem aber der Begriff der Umwelt, zuvor vom Veranstalter nicht definiert wurde, eigentlich beantwortet werden sollten. Vielmehr wurden beliebige, von Fall :u Fall durchaus interessante Einzeihemen dem damit zum bloß assoziativen Reizwort degradierten Hauptgedanken einfach zugeordnet. Hätte man anders vorgehen, das leißt die Tagung vom Hauptthema ' ius konzipieren wollen, so wäre es lotwendig gewesen, die Zeit, in der Vlozart lebte, nach kultursoziologi->chen, kulturgeschichtlichen und all- i ;emein geistesgeschichtlichen Ge-

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hätte also nicht nur Musikwissenschaftler einladen dürfen. So abe: verengte sich das Blickfeld in eine: Weise, die dem Gegenstand unange messen war.

Nur der Eröffnungsvortrag war einem Historiker anvertraut, dem Salzburger Universitätsrektor Professor Hans Wagner. Er gab Hinweise auf das „Josephinische Wien zur Mozart-Zeit“, schilderte ein politisches Streben, das gekennzeichnet war von der Reform des Ständewesens, dem Privilegienabbau, offizieller Sparsamkeit und dem Streben nach sozialer Gerechtigkeit, kurz: einer Anwendung aufklärerischer Grundsätze in der Staatstheorie. Das alles habe auch zu einer Beschränkung des Musiklebens geführt; Mozart hingegen habe — obwohl grundsäztlich Befürworter der Reformen — noch das Theresianische Wien vor Augen gehabt.

Das Thema „Mozart und die Aufklärung“ harrt, meine ich, noch der zusammenfassenden Bearbeitung, denn in seinem Denken und Schaffen gibt es aufklärerische und sogar Voltairesche Züge. Voltaire sah — darauf wies Walther Dürr, Tübingen, hin — in Metastasios „La clemenza di Tito“ „eines der wichtigsten Werke der Aufklärung“, und Mozart hat, in „Zauberflöten“-Nähe, den diesbezüglichen Charakter des Titus auch musikalisch hervorgehoben.

Die Form, das Formganze — ich

folge jetzt Gudrun Henneberg, Mainz — spielte eine zentrale Rolle in der Musiktheorie der Mozart-Zeit; der Formbegriff bestimme „das musikalische Werk in seinen wesentlichen Zügen ..., ohne mit ihm identisch zu sein“. Dieser Formbegriff geht zurück auf den im 18. Jahrhundert unangefochtenen „Werk“-Begriff, und das „Werk“ mit seinem Absolutheitsanspruch wurzelt in einer Autonomie-Ästhetik, die geradlinig — das war einem Vortrag von Walter Pass, Wien, über „Mozart und van Swieten“ zu entnehmen — aus dem Denken der Aufklärer hervorging.

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