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Aus dem Leben eines „Doppelzünglers“
„Bis man mir Scherben auf die Augen legt“ als letzter Teil der Autobiographie „All das Vergangene- ..“ von Manės Sperber ist inhaltlich und sprachlich Höhepunkt der Trilogie. Der private Fortgang des Menschen Sperber wird hier nur noch erwähnt, um den Zusammenhang zu wahren und zu zeigen, wie er mehr und mehr vom öffentlichen Wirken bestimmt wird. Das war er auch immer, doch erst seit 1933 wurde es ihm voll bewußt; in der Erinnerung spiegelt sich das wider, macht es dem Leser ebenfalls bewußt.
Sperber, als Mitarbeiter Alfred Adlersjung nach Berlin entsandt, dort als Praktiker der Individualpsychologie in die kommunistische Bewegung geraten, kam als Ausländer gerade noch davon und zurück nach Österreich. Da war allerdings auch nichts mehr zu holen für einen „Linksextremisten“, denn ohne eigentlich einer zu sein, gehörte Manės Sperber dazu, alsbald ein „Doppelzüngler“, wie man das par-
teiintem nannte und wie er nun selber zugibt: einer, der nicht aufhören wollte, sich insgeheim sein Teil zu denken, statt unbedenklich jeden Auftrag/der Partei auszuführen. Sperber glaubte lange an die Idee, aber nicht bedingungslos an die Richtigkeit der angewandten Methoden. Jugoslawien, später und schließlich endgültig Frankreich. Ausführlich und romanhaft hat er diese Zeit in dem berühmt gewordenen dreiteiligen Epos „Wie eine Träne im Ozean“ gezeichnet. (Er zitiert manche Belegstelle daraus.)
„Warum schreibe ich über diese Periode so ausführlich und für wen?“ fragt er sich, um dem Leser die Antwort zu explizieren. Und er fragt sich offen, an den stalinistisch gewordenen Kommunismus der dreißiger Jahre denkend: „Wie konnte ich so lange, bis 1937, dabeibleiben - ich, der nicht glaubte und bereits recht früh das Wesentliche der Vorgänge erraten hatte, durch welche die Prozesse ermöglicht wurden?“ Das erinnert an Goethes Reaktion, der, einer Anekdote zufolge, nachdem ihm von einem eifrigen Höfling der peinliche Fauxpas seines fürstlichen Schützlings vor Augen geführt worden war, gesagt haben soll: „Ich sehe es, aber ich glaube es nicht.“ Man muß nicht blind sein für die Tatsachen, wenn man verblendet ist. Der politische Glaube ganz besonders hat eine mächtige Gefühlskomponente, die Beobachtungen wie Überlegungen lange standzuhalten vermag. Wer erinnert sich nicht schmerzlich an das eigene Kopfschütteln über den in Fanatismus abgeglittenen Eigensinn von Menschen, deren Intellekt auf einmal unansprechbar wurde für Argumente, die nicht in ihr einmal gewähltes Weltbild paßten. Manės Sperber schildert die schwierige Loslösung (eine wahre Erlösung), was natürlich den unerbittlichsten und härtesten Parteibann zur Folge hatte, auch über seine Kommilitonen Arthur Koestler und Andrė Malraux, mit denen er eng befreundet war und blieb, Sperber sieht das heute ein und verurteilt keinen, der ihn damals schnöde im Stich ließ. In „Wie eine Träne im Ozean“ schrieb er: „Seine Frau, eine besonders intole rante Kommunistin, hatte ihn daran gehindert, die Familie eines Renegaten zu retten. Nein, sie war kein niederträchtiger Mensch, aber sie nutzte die Gelegenheit aus, einen Parteifeind zu strafen. Dabei hatte sie kein schlechtes Gewissen, sondern die Genugtuung, mit reinem Herzen der Partei und der Revolution einen Dienst erwiesen zu haben.“
So ist es, und so war es. Das ganze Werk und besonders der. Schlußteil soll eine hoffentlich nicht vergebliche Warnung für Nachgeborene sein. Manės Sperber will am eigenen Beispiel zeigen, was einem gewissenhaften Menschen alles passieren konnte und nicht hätte passieren sollen.
BIS MAN MIR SCHERBEN AUF DIE AUGEN LEGT. Von Manes Sperber. Europaverlag, Wien 1977, 378 Seiten, öS 218,—.
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