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Das Werk und die Absicht

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Kunst verweist auf unsere Herkunft aus dem Unverfügbaren, wörtlich also: aus Tiefen, vor denen die Fugen nicht abzudichten sind. Kunst führt zu den Wurzeln unserer Identität, im glücklichsten Fall ist sie selbst diese Wurzel: dort, wo Wirklichkeitserschließung, Wahrheitsahnung, religiöses Gerufensein und kunstvolle sprachliche, gestische, formvollendete Antwort ineinan-derwirken.

Diesen Auftrag gefährdet der Künstler an den Grenzen seiner

Profession dann, wenn er über sein Zeugnis des gestaltenden Transzendierens hinaus das Formale mit Stoff füllt und dabei durch inhaltliche Selektion Positionen reklamiert, die durch die künstlerische Kompetenz nicht gedeckt sein müssen. Dies macht deutlich, daß Inhalte aus ihrer eigenen Sachlogik entwickelt sein müssen und sich nicht aus ihrer Verarbeitung in Kunstkategorien allein legitimieren.

Daß Beethovens Eroica als Huldigung für Napoleon gedacht war, nimmt dieser Symphonie nichts

von ihrem Rang, wenngleich inzwischen die Unwürdigkeit des Adressaten evident ist, und derselbe Komponist später in gegenteiliger Intention das Orchesterwerk „Wellingtons Sieg“ schrieb. Die Musik Beethovens begründet existentielle Wahrheit in vollendeter Kunstform, nicht aber die Meinung über zu seiner Zeit aktuelle Inhalte.

Herauszustellen gilt es, daß kein Künstler ohne Inhalte arbeiten kann, wohl in unterschiedlicher Adaption und Abstraktion, daß er aber diese Gefährdung durch inhaltliche Inkompetenz und Selbstrelativierung kennen muß und keine Zuständigkeiten nur kraft Künstlertums beanspruchen soll. Beethovens und Goethes, Schuberts und Grillpar-zers, Thomas Manns und Bertolt Brechts Kunstverstand und Leistung sind epochale Zeugnisse, und doch ließen sich gegen die explizite oder implizite Ansicht jedes einzelnen über Fragen der Weltdinge und der Lebensord-

nung Einwände machen. Paul Claudel, Georges Bernanos, Fran-cois Mauriac sind als Dichter legitimiert, ihr christliches Zeugnis aber hat sich im Kontext der Religiosität zu bewähren, diese Bewährung erfährt keine Unterstützung aus der Tatsache deren schriftstellerischer Fähigkeiten.

Der Künstler entgeht freilich nie der Parteinahme, zumindest durch die Wahl seines Stoffs und seiner Ausdrucksweise, aber das Wissen über die substantielle, existenzerhellende metaphysische Konstituante der Kunst einerseits, für die der Künstler ein Medium und ein Symptom ist, und die unvermeidliche Selbst-und Fremdgefährdung anderseits durch ausgefaltete inhaltliche Urteile kraft seiner nicht künstlerisch erleuchteten Ansichten, diese stimulierende Unterscheidung und Herausforderung sollte die Hervorbringung qualifizieren.

Keine Profession, auch nicht die des Künstlers, begründet solitäre Autonomie. Die festgeschriebene

Freiheit der Kunst ist nur im Kontext der Gesellschaftsumwandlung im 18. und 19. Jahrhundert zu verstehen, als formaler Schutz vor privüegierter Repression, begründet freilich weder damals noch gar heute intellektuelle und moralische Permissivität des Künstlers, der selbstverständlich allen ethischen Implikationen verantwortlichen personalen Seins unterliegt in allen seinen Manifestationen, so wie jedes andere Individuum auch.

Es gibt nur eine universelle Ethik, ausgefaltet in verschiedenen Sprachen und Denksystemen; es gibt auch nur eine Wahrheit, ausgefaltet in den deskriptiven Disziplinen der Naturwissenschaft, den normativen der Geisteswissenschaft, den phänomenologischen oder ästhetischen der Künste. Alle diese Pfade erfordern schärfste Unterscheidungskraft. Unkontrollierte Exaltation, Asozialität, Arroganz sind Abwege. Liebe ist nicht nur der unersetzliche Ansatz für das Gefühls-

leben, sondern Liebe ist ein Erkenntnispotential durch ihren Verzicht auf argumentativen Imperialismus, polemische Zangen.

Gewiß: Ich finde Tat- und Unterlassungstodsünden, wohin ich blicke — aber auch beim Blick in den Spiegel! Denn daß ich je dem Selbstanspruch genügte, der schon hinter dem Auftakt jeder meiner Aussagen liegt, wäre gelogen. Zwar hoffe ich, ja bete ich darum, wenigstens persönlich von Korruption frei zu sein. Doch die Einspannung in halbblinde Durchsetzungsstrukturen ringsum verbietet demjenigen Eigen-unschuldsvermutung, der sich des erahnten Amalgams von Ethik, Technik, Ökonomie, Ökologie, Kultur und Weltweiterentwicklung bewußt ist; der zum Beispiel als Schriftsteller den unüber-brückten Abstand zwischen vielfältigem Wissen und Erfahrung und der künstlerisch sprachlichen Nicht-Bewältigung dieser schicksalhaften Wirklichkeit bekennen muß. Angesichts dieser unbestandenen Selbstprüfung öffnen sich jene Ahnungen existentieller Unverfügbarkeit, mit der dieser Gedankengang eingeleitet wurde: dort nämlich, in der Kipplage des Versagens, zeichnet sich schöpferische Herausforderung ab.

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