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Die Basis revoltiert

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Das Treffen der Führer der OGIL, CISL und UIL-Gewerkschaften in Florenz hat in Italien gemischte Gefühle hinterlassen. Ob bereits am 21. September 1972 jede dieser drei größten italienischen Gewerkschaften den sogenannten Einheitskongreß bestellen und durchführen kann, wie er jetzt beschlossen wurde, ist noch keine ausgemachte Sache. Und ob es im Februar 1973 zur Einberufung der konstituierenden Versammlung der italienischen Einheitsgewerkschaft kommen wird, hängt nach Ansicht der meisten Sachverständigen noch von vielen andern, nidit zuletzt politischen, Faktoren ab.

Während die CGIL-Gewerkschaft im Schlepptau der KPI steht und entsprechend geschlossen marschiert, sind die der Democrazia Cristiana nahestehende CISL und besonders die sozialdemokratische UIL-Geiwerk- schaft ähnlich wie politische Parteien struktuiert, weisen also Mehrheitsund Minderheitsströmungen auf, die je nach Gutdünken eigene Wege beschreiten. Aus Protest gegen künstliche, von den Gewerkschaftsspitzen her diktierte und in der sogenannten „Basis“ der Arbeitnehmermassen nicht genügend verankerte Vereinigungsbestrebungen, verließen in Florenz zahlreiche Delegierte dieser Minderheitenströmungen den Kongreßsaal, um sich an der Schlußabstimmung nicht beteiligen zu müssen. Die dann verkündete Einstimmigkeit durch Handaufheben der anwesenden Gewerkschaftsführer trug derart einen großen Schönheitsfehler. Daß die drei Gewerkschaften auf dem Wege zur Wiedervereinigung einen gewichtigen Teil ihres Anhangs verlieren könnten, ist mehr als eine bloße Möglichkeit.

Während des dreitägigen Kongresses schlug der Führer der der KPI

nahestehenden CGIL-Gewerkschaft, Lama, vor, im kommenden Frühjahr eine Massendemonstration „aller Arbeitnehmer“ im Zeichen der Einheit durchzuführen. Dieser schließlich mehrheitlich gutgeheißene Vorschlag steht jedoch im Verdacht, die Fahne der Verbrüderung zu einem Zeitpunkt hochhalten zu wollen, in dem es mit den brüderlichen Gefühlen vielleicht nicht mehr zum besten bestellt ist. Die politischen Beobachter stimmen in einem Punkte überein: daß das Schicksal des Zusammen schlusses zu einer Einheitsgewerkschaft durch äußere Faktoren besiegelt werden könnte.

Das am 9. Dezember beginnende und sich vielleicht lang hinziehende Bennen um den Sitz im Quirinal, die wahrscheinlich im Jänner ausbrechende Regierungskrise und die allgemeine Wirtschaftslage sind auch für die Arbeitnehmerverbände die großen Zankäpfel. Ob die politisch verschieden ausgerichteten Gewerkschaftsführer in allen diesen und vielen anderen Belangen gernein-

same Nenner finden können, ist noch die große Frage. Jedenfalls geben diese heißen Eisen den Gewerkschaften Grund genug, sich wiederum voneinander zu entfernen, wenigstens den Einheitsprozeß aufzuhalten. Wieweit die Führer der einzelnen Gewerkschaften, die beim jetzigen Machtvakuum der Regierung und der Koalitionsparteien ziemlich selbständig schalten und walten können, sich in der Einheitsgewerkschaft mit einer untergeordneten Stellung begnügen würden, ist eine weitere offene Angelegenheit.

Audi in Gewerkschaftskreisen ist es umstritten, ob die Durchführung produktionsbeeinträchtigender Streiks, gar eines Generalstreiks, in einer prekären Wirtschaftslage wie heute zu verantworten ist. Der Streik der Mittelschullehrer hat ebenso wie der Hafenarbeiterstreik gezeigt, daß die drei eingangs erwähnten Gewerkschaften die Arbeiter nicht richtig im Griffe haben und daß die sogenannten autonomen Gewerkschaften nach wie vor weit herum das gute und schlechte Wetter in Italien machen. Wird die Vereinigung der italienischen Gewerkschaften von den Führungsspitzen und der KPI sehr, zu sehr, vorangetrieben, so besteht die Gefahr der Stärkung der bestehenden autonomen Gewerkschaften. Von den 19 Millionen italienischen Arbeitnehmern sind schon jetzt lediglich 5,5 Millionen eingeschriebene Gewerkschaftsmitglieder der CGIL, CISL und UIL. Eine allzu hastige und zuwenig von der Basis getragene Vereinigung könnte nach Ansicht prominenter Beobachter dem ohnehin eher bescheidenen Mitgliederbestand noch mehr zusetzen.

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