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Die Ethik und die Mächtigen

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Im Anschluß an die Staats- und Friedensvertragstheorie von Thomas Hobbes wurde im Aufwind des aufgeklärten Rationalismus versucht, eine auf gegenseitiger Vernunft begründete gesellschaftliche Ordnung herzustellen. Dabei wurden drei ethische Grundsätze aufgestellt, deren Anwendung die wirtschaftliche' und politische Entscheidungsfindung, wenn schon nicht vollständig harmonisieren, so doch konfliktärmer gestalten sollte.

Durch das „principium honesti” sollte sichergestellt werden, daß das, was man von anderen verlangt, auch von sich selbst verlangt werden muß. Das „principium decori” geht davon aus, daß das, was man will, daß einem andere tun, auch den anderen gegenüber geleistet wird. Im „principium justi” schließlich wird postuliert, daß das, was man will, daß einem andere nicht antun, auch keinem anderen zugemutet wird. Damit waren die Grundsätze einer persönlichen als auch politischen Ethik gelegt.

Es blieb, wie wir aus der Geschichte, wissen, das Problem der persönlichen Umsetzung. Die Po-lit-Skandale der Vergangenheit und der Gegenwart legen davon ein Zeugnis ab. Sie zeigen nachdrücklich auf, daß die Verwirklichung dieser und anderer Prinzipien eine dauernde Aufgabe jedes Staatsbürgers und besonders jedes Politikers sein muß.

Letztlich ist die persönliche Ethik der Schlüssel auch für die politische Moral: Unsere Organisationen und Institutionen können nicht besser sein als die Menschen, die in ihnen und mit ihnen arbeiten. Wo der Politik die moralischen Grundlagen fehlen, wird die Gefahr, Mittel und Zweck zu verwechseln und den persönlichen Vorteil dem Wohl des Gesamtvolkes voranzustellen, doppelt groß. Gleichzeitig müssen wir uns davor hüten, die Möglichkeiten des „politischen Managements” zu überschätzen und allein von der angewandten Sozialtechnologie den Erfolg zu erwarten.

Wir brauchen mehr denn je eine persönliche Ethik, die Selbstreflexion, Selbstkontrolle und die richtige Anwendung des Zweck-Mittel-Schemas in den Vordergrund rückt. Zuviel ausgelebte Macht gestaltet die mitmenschlichen Beziehungen narzistisch, das heißt, egoistisch und ausbeuterisch. Wir wissen, daß, je höher ein Individuum in den hierarchisch organisierten Institutionen steigt und je größer seine Macht wird, desto mehr die Gefahr besteht, daß Realitätsverlust und Selbstisolation entstehen. Man hört dann nur noch, was man hören will, und kann jene zum Schweigen bringen, die einen in Frage stellen.

In unserer Demokratie gibt es die Prinzipien der Gewaltenteilung, die unter anderem den Zweck verfolgen, eine Machtbeschränkung zu erreichen und Verantwortlichkeiten und Kontrolle durch Parlamente und Gerichtshöfe zu begründen. Wir wissen aber auch, daß sich ein permanenter, jeder Generation auferlegter moralischer Reinigungsprozeß zwar formulieren, nicht jedoch unter allen Umständen durchsetzen läßt. Wir wissen, daß die „Macht des Faktischen” die gesellschaftliche Wirklichkeit wesentlich bestimmt. So kommen wir nicht umhin, hinter der Ebene der Gesetze und Verordnungen die Verantwortung vor dem eigenen Gewissen als letzte ethische Instanz für die Handlungen des Menschen zu sehen.

Sie bildet die Basis für die wirtschaftliche und politische Ethik und für die Entwicklung eines politischen Verantwortungsbewußtseins, das nicht nur irgendwo geschrieben steht oder verbal vertreten wird, sondern bei jedem einzelnen Staatsbürger, aber erst recht bei jedem gewählten Mandatar, egal, in welcher Funktion und Hierarchieebene er sich befindet, zu persönlichen Konsequenzen führt.

Es ist unmöglich, durch Kontrollmechanismen sicherzustellen, daß menschliche Schwächen in wirtschaftlichen und politischen Entscheidungsprozessen keinen Eingang finden. Solange der wirtschaftliche und politische Erfolg in weiten Bereichen unserer Gesellschaft als wichtigste Wertkategorie dominiert, und die dabei verwendeten Methoden nach der Devise „der Zweck heiligt die Mittel” stark relativiert werden, ist es vorerst notwendig, das richtige Verhältnis zwischen Zielen und den dabei verwendeten Mitteln wiederherzustellen. Hiezu muß das Gewissen als innerer Wertmaßstab entfaltet werden. Nur die inneren Dispositionen des Menschen, seine entwik-kelten Beziehungen zu jenen Teilen des Selbst, die handlungsbe-wertend und korrigierend eingreifen können, bilden die Basis einer wirksamen begleitenden Kontrolle.

Nicht an den Zielen, nur an den Mitteln, die sie anwenden, wird man jene erkennen können, die im wirtschaftlichen und politischen Entscheidungsprozeß das Gemeinwohl anstreben. Es nützen uns daher feurige Appelle und wohlklingende, das Gemeinwohl beschwörende Zielsetzungen nur dann etwas, wenn die sie bestätigenden Taten und Verhaltensweisen auch folgen.

Der Autor ist Präsident der Arbeiterkammer für Vorarlberg.

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