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Die Lehre von der Ganzheit

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Zu runden Geburtstagen Walter Heinrichs, des repräsentativen Vertreters der von Othmar Spann begründeten „Ganzheitslehre“ im universalistischen Sinne, sind bereits mehrere Festschriften publiziert worden. Daher war es ein sinnvoller Akt seines Schülers und Nachfolgers auf der Lehrkanzel an der Wirtschaftsuniversität Wien, J. Hanns Pichler, zum 75. Geburtstag Heinrich selbst in einer Auswahl seiner über fast fünf Jahrzehnte verstreuten Schriften sein Ideengebäude und dessen ungebrochenen Bestand darstellen zu lassen. Durch alle Aufsätze des Sammelwerkes zieht sich, die einzelnen Konzepte integrierend, die Idee der Ganzheit, die in Ansätzen international auch vom „Holismus“ und von der strukturfunk-tionalistischen Interpretation makrosozialer Prozesse angenommen wurde.

„Ganzheit“ wird als eine Wirklichkeit besonderer Art begriffen, die nicht - wie dies der Individualismus plausibel zu machen suchte - eine Summe ihrer Teile ist, sondern als Kategorie zum Verstehen sozialer Prozesse, ihrer Immanenz und ihrer Strukturen dient. Die Ganzheit (etwa ein soziales System) hat demnach eigene Qualität; hat gewissermaßen ihr „Eigenleben“.

Man kann die Ganzheitslehre nicht als Bemühen deuten, das Wirkliche etwa idealtypisch widerzuspiegeln, sondern muß sie in erster Linie theoretisch-methodologisch verstehen, als ein Transparentmachen von Wirklichkeiten, die nicht unmittelbare Augenscheinlichkeit haben, jedoch als strukturiertes Ganzes in Elemente und Funktionen ausgegliedert werden (S. 93 ff.). Die Elemente stehen auf diese Weise nicht in einem bezugslosen Nebeneinander, sondern bleiben in der Ganzheit rückverbunden, bei einhergehender permanenter („dynamischer“) Umgliederung und Ausgliederung. Einzelne Elemente wären etwa im gesellschaftlichen Bereiche als Verbände wahrnehmbar (S. 494).

Da auf einer relativ höhen'Absträk-tionsebene lokalisiert, vermag die Ganzheitslehre („Universalismus“) gleichsam polare Seinsbereiche zu umfassen (S. 101 ff.), etwa Wirtschaft und Gesellschaft, die in der Theorie vielfach wirklichkeitsfremd isoliert werden; ebenso empirische Forschung und transzendentale Kategorien (S. 133), die einander ergänzen. Wissenschaft wird daher stets als rückverbundenes gesellschaftliches Handeln begriffen (S. 457), ohne daß einer kollektivistischen Entartung zugestimmt wird, die der Verfasser ebenso wie die individualistischen Axiome ablehnt (S. 462).

In seinen strukturtheorethischen Untersuchungen^ (S. 185 ff.) betont Heinrich besonders die kleinen Gemeinschaften („Gesetz der Kleinheit der Gemeinschaften“, S. 188). Daher die Forderung nach Dezentralisierung, die Berücksichtigung optimaler Betriebsgrößen (S. 338 ff.) und des Genossenschaftsgedankens als einer Anwendungsform organisierter horizontaler Solidarität (S. 506).

In seiner Deutung des Verhältnisses ' von „Wirtschaftswissenschaften und Humanismus“ (S. 251 ff.) weist Heinrich mit Nachdruck auf die Dehumani-sierung und die Tendenz zur Säkularisierung hin, die sich hinter einem ohnedies weitgehend fideistischen Rationalismus verbirgt. Wirtschaftswissenschaft wird oft reduziert auf die Analyse von Tausch- und Preisprozessen. Daher auch ihr Versagen, wenn in einer nachindustriellen Gesellschaft etwa das offenkundig inverse Verhalten von Arbeitnehmern zu interpre^ tieren versucht wird.

Die Sammlung von Aufsätzen von Walter Heinrich bietet somit ein Doppeltes: Einen repräsentativen Querschnitt durch das Lebenswerk eines großen Gelehrten und eine synthetische („fortgeschriebene“) Darstellung des Universalismus.

DIE GANZHEIT VON WIRT-SCHAFT, STAAT UND GESELLSCHAFT: Ausgewählte Schriften von Walter Heinrich. Hrsg. J. Hanns Pichler, Verlag Duncker & Humbolt, Berlin 1977, geb. 669 Seiten, DM 168,-.

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