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Die modernen Jakobiner

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Seit langem hat das gegenwärtige Regime der Fünften Republik aufgehört, bei jeder Aktion General de Gaulle zu zitieren. Anläßlich des Besuches des Staatspräsidenten Pompidou in China wurde in diskreter Form darauf aufmerksam gemacht, daß General de Gaulle bereits 1964, als erster westlicher Staatsmann, das Reich Maos diplomatisch anerkannt habe. Am Höhepunkt des heftigen Sozialkonflikts in der Uhrenfabrik LIP erinnerten gelegentlich die Kommentatoren an die Lieblingsidee de Gaulles und wollten die Formel von der „Partizipierung“ als Modell in Vorschlag bringen. Dieses Programm einer sozialen Ordnung zwischen liberalem Unternehmertum und marxistischer Planwirtschaft stand in den Reihen der UDR zur Diskussion. Praktische Schlüsse aus diesen Überlegungen und ihre Anwendung im Falle LIP wurden nicht publiziert.

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Seit langem hat das gegenwärtige Regime der Fünften Republik aufgehört, bei jeder Aktion General de Gaulle zu zitieren. Anläßlich des Besuches des Staatspräsidenten Pompidou in China wurde in diskreter Form darauf aufmerksam gemacht, daß General de Gaulle bereits 1964, als erster westlicher Staatsmann, das Reich Maos diplomatisch anerkannt habe. Am Höhepunkt des heftigen Sozialkonflikts in der Uhrenfabrik LIP erinnerten gelegentlich die Kommentatoren an die Lieblingsidee de Gaulles und wollten die Formel von der „Partizipierung“ als Modell in Vorschlag bringen. Dieses Programm einer sozialen Ordnung zwischen liberalem Unternehmertum und marxistischer Planwirtschaft stand in den Reihen der UDR zur Diskussion. Praktische Schlüsse aus diesen Überlegungen und ihre Anwendung im Falle LIP wurden nicht publiziert.

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Sieht man von den außenpolitischen Prinzipien des Begründers der V. Republik ab, so steht das Problem der Regionalisierung — letzter Wunsch des Generals — gegenwärtig im Spannungsfeld der innenpolitischen Auseinandersetzungen. Kein anderer Staat des westlichen Europa hat sich so zentralistische Verwaltungsstrukturen gegeben wie Frankreich. Die großen Könige und Kardinäle, die Jakobiner der Revolution, Napoleon, die Staatsmänner der Dritten Republik haben stets das Primat der Zentralgewalt gegenüber den Regionen betont — und durchgesetzt. Ein Beispiel möge diese historische Entwicklung kennzeichnen: Bis heute besitzt die Stadt Paris keinen richtigen Bürgermeister! Die eigentliche Macht wird in der Metropole nicht vom Präsidenten des Stadtsenats, sondern von einem staatlich beamteten Präfekten ausgeübt. Dadurch wollte sich die jeweilige Regierung eine absolute Kontrolle über die Hauptstadt sichern. Paris wurde natürlich der leuchtende Mittelpunkt und zog die dynamischen, geistigen und wirtschaftlichen Kräfte der Nation an. Die oft geschichtlich gewachsenen Länder suchten mühsam ihre Identität. Diese wurde noch am besten von der -Bretagne und vom Elsaß gewahrt. Die Technokraten der Pariser Ministerien, die sich als moderne Jakobiner gebärden, kümmern sich selten oder gar nicht um die Aspirationen und die lokale Kultur der verschiedenen Landesteile. Man glaubte mit der Pflege der Folklore das Auslangen zu finden. Dank des Heranwachsens einer regionalen Führungsschicht, vielfach angeregt durch die Ereignisse der Staatskrise vom Mai 1968, ist der Wunsch nach einer Bestätigung föderalistischer Tendenzen lebendig geworden. Dieser Wille zu einer begrenzten Eigenständigkeit fand verschiedene Ausdrucksformen. Leider traten dabei manchmal an die Stelle von sachlichen Argumenten und Fomulie-rungen berechtigter Wünsche Gevaltmethoden. Dank einem Gesetz rom 5. Juli 1972, welches am 1. Ok-;ober 1973 in Kraft tritt, voraussicht-ich aber im Dezember zum Tragen commt, wurde nun die Republik in !1 Regionen aufgeteilt. Bezeichnen-lerweise gilt dieses zitierte Gesetz licht für Paris. In diesen neufor-nierten Verwaltungsgebieten werden Landtage gebildet, welche zur iälfte aus den Abgeordneten und Jen Senatoren der Region zusam-nengesetzt sind. Die Delegierten der Gemeinden und Städte repräsentieren die andere Hälfte. Daneben soll :in Sozial- und Wirtschaftsrat mit jeratender Stimme existieren, in dem sich Gewerkschaften, Indu-itriellenvereinigungen und Bauernverbände treffen. Dem Landtag steht 3S zu, das Budget der Region zu votieren, die Finanzgebaxung des Präfekten zu kontrollieren. Die großen staatlichen Investitionen unterliegen ebenfalls einer Prüfung durch diese Körperschaft, soweit sie natürlich diese Region betreffen. Während die Pariser Zentralstellen diese Reform als revolutionär bezeichnen, verhalten sich die betroffenen Bewohner skeptisch. Nach wie vor stehen dem staatlichen Vertreter überaus große Prärogativen zu. Die Kompetenz deutscher, österreichischer oder Schweizer Landtage ist sicherlich bedeutender. Für einzelne regionale Einheiten mag diese bescheidene Realisierung einer eigenen Verwaltung zu spät kommen.

In erster Linie dürfte dies für die Insel Korsika zutreffen. Während es im Sommer 1972 in der Bretagne zu vereinzelten Terroraktionen gekommen war, die sich dieses Jahr nicht wiederholten, rückten die Auto-nomiebestrebungen der Mittelmeerinsel im August 1973 in den Vordergrund. An den Häusern korsischer Städte tauchten die bezeichnenden Inschriften „Francesi fora“ auf, was man am besten mit dem klassischen „Franzose go home“ übersetzen könnte. Es kam zu einigen terroristischen Anschlägen. Die heftigen Waldbrände dieses Jahres sollen politisch-kriminellen Ursprungs sein. Vier autonomistische Parteien verkündeten ihr Programm. Es war geplant, im August korsische Generalstaaten einzuberufen. Das Resultat war allerdings sehr bescheiden. Seit Jahrhunderten beherrschten Familienclans die Insel. Nun beginnen junge Intellektuelle, sie sind meistens Sozialisten, aber keine Marxisten, die korsischen Wünsche zu programmieren und sie in politischen Aktionen deutlich zu machen. Natürlich denkt niemand daran, eine korsische Republik auszurufen. Die Ereignisse dieses Sommers sind jedoch ein Warnzeichen. Die Pariser Jakobiner wären gut beraten, wenn sie das Gesetz über die Regionalisierung in Geist und Form respektieren würden.

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