Ist Bablers SPÖ zu "proletarisch" für Bürgerliche?

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Warum Andreas Bablers „proletarische“ politische Ziele auch Bürgerliche interessieren sollten – ganz unabhängig von der vom SPÖ-Chef gezeigten sprachlichen Brillanz. Eine Replik.

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Warum Andreas Bablers „proletarische“ politische Ziele auch Bürgerliche interessieren sollten – ganz unabhängig von der vom SPÖ-Chef gezeigten sprachlichen Brillanz. Eine Replik.

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Der Psychotherapeut Thomas Köhler hat kürzlich an dieser Stelle aus seiner Sicht einige Schwachstellen des SPÖ-Vorsitzenden und Kanzlerkandidaten, Andreas Babler, vorgebracht. Im Wesentlichen richtet sich die Kritik dabei auf eine unzureichende Rücksicht auf die „Bürgerlichen“ inner- und außerhalb der SPÖ und auf die mangelnde „Beherrschung“ der Hochsprache. Dabei erinnert Köhler an die SPÖ der 1970er Jahre und an Bruno Kreiskys Appell an bürgerliche Wählerinnen und Wähler, „ein Stück des Weges gemeinsam“ mit ihm zu gehen. Was Köhler vergisst: Der damalige Appell galt auch ausdrücklich kritischen und solidarischen Intellektuellen und Kulturschaffenden – und das durchaus mit Erfolg. Jedenfalls wird Babler vorgehalten, er imitiere diesen Schachzug Kreiskys, schenke aber jener Verbürgerlichung v. a. in der SPÖ selbst zu wenig Augenmerk. Dies passt auch zu dem häufig erhobenen Vorwurf, Babler und dessen politisches Programm seien zu prononciert links.

Unvergleichliche Probleme

Nun, ich denke zunächst, dass man die 1970er Jahre und die heutige Situation nicht so einfach vergleichen kann. Zu verschieden sind die Problemstellungen und damit die Herausforderungen heute an die Sozialdemokratie. Konnte Kreisky beispielsweise noch als Ziel verkünden, dass vor jedem Arbeiterhaushalt ein Mittelklasse-Pkw stehen sollte, wäre das heute ein ökologischer Fauxpas sondergleichen. Heute stellen sich ganz andere Probleme, die nicht mit der Zeit eines Kreisky zu vergleichen sind: etwa der starke, demokratiegefährdende Rechtstrend (u. a. auch durch die ÖVP forciert), die immer noch größer werdende Schere zwischen Arm und Reich, die dadurch verstärkte Verunsicherung vieler Menschen durch die Folgen der Pandemie – speziell in Zeiten der Teuerung, dann die von Konservativen und Rechten immer noch zum Schüren von Angst genutzte Migrationsproblematik und die Bedrohung durch die „Erderhitzung“, wie Babler den Klimawandel treffend dramatisiert ­(also sprachlich doch recht versiert!).

Wegen dieser ganz anderen Probleme gilt es vielleicht auch, die Leute „linker“ anzusprechen als in den 1970ern. Und das macht der SPÖ-Vorsitzende deutlich und pointiert, weil gerade angesichts der multiplen Krisen die grundlegenden gesellschaftlichen Konflikte und Ungleichheitsverhältnisse auch deutlicher spür- und sichtbar sind: wenn etwa Leute kaum ihre gestiegenen Heizkosten oder erhöhten Mieten zahlen können, um nur ein Beispiel zu nennen. Auch die Frage nach den Superreichen und ihrem Beitrag zur Besserung der Situation der Mehrheit (etwa durch Vermögenssteuern) wird in dieser Situation virulenter denn je, ebenso die Frage nach flächendeckender gesundheitlicher Versorgung ohne Zweiklassenmedizin. Alles Beispiele, die auch „Bürgerliche“ und die gesellschaftliche Mitte betreffen. Dazu gehört auch die Forderung nach einer besseren Chancengleichheit im Bereich der Bildung und damit nach der Förderung von Kinder-Bildungs- und Betreuungsstätten, die Babler als einen seiner Kernpunkte formuliert. Auch die Erderhitzung hinterfragt der SPÖ-Chef zu Recht auf die Hauptverursacher des CO₂-Ausstoßes hin, nämlich die wohlhabenderen sozialen Schichten beziehungsweise reicheren Staaten der Welt. All diese Themen sind sehr real und harren dringend einer Lösung.

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