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Vom Parteipolitiker zum Staatsmann

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Jeder erfolgreiche Politiker sieht sich über kurz oder lang einer der schwersten Entscheidungen seiner Karriere gegenüber: dem Übergang vom Parteipolitiker zum Staatsmann. Ein solcher Übergang setzt die Erkenntnis von dem relativen Wert aller Parteidoktrinen vor dem Hintergrund der Geschichte voraus. Diese weltanschauliche Reifung, dieses Über-den-Dingen-Stehen, bedeutet in der Praxis meistens den Abschied von den bisherigen Weggefährten und eine beginnende Vereinsamung.

Wird dieser Übergang zu früh vollzogen, so fehlt es an parteipolitischer Unterstützung noch zu einer Zeit, in der sie notwendig wäre; der zu früh objektiv gewordene Politiker verliert an Boden und scheidet aus. Erfolgt aber die Erkenntnis zu spät, so wird aus dem Parteipolitiker nie ein Staatsmann, er sinkt in den alten Rahmen zurück. Daß es nur so wenige Staatsmänner gab, beweist die Schwierigkeit der Wahl des rechten Augenblicks.

Die launische Honorierung

All das ergibt wenigstens für den Außenstehenden ein keineswegs anziehendes Bild. Der Kräfteeinsatz in der Politik, auch der seelische Einsatz, steht eigentlich in keinem Verhältnis zum Resultat. Die Politik ist nicht gerecht, und oft ist sie das reinste Spiegelbild der menschlichen Schwächen und Fehler. Größter Einsatz, echteste Aufopferung, reinstes Wollen und gewaltige Leistungen werden manchmal nicht belohnt, ja

mit bitterem Unrecht bezahlt. Da sollte viele abschrecken, die glauben, für diese Tätigkeit berufen zu sein. Aber der Mißerfolg oder die Ungerechtigkeit sind anderseits auch keine Regel. Man kann viel eher sagen, daß Politik ein Wagnis um ganz große Werte mit ungewissem Ausgang ist. In diesem Sinn gleicht die Politik dem Fatum der Antike. Da die Welt wesensmäßig unvollkommen ist, sind auch alle Bemühungen, sie vollkommen zu machen, unvollkommen. Nur in ganz großen Linien können wir einen Fortschritt in der geschichtlichen Betrachtung der politischen Entwicklung feststellen. Aus dem unübersichtlichen Wirrsal politischer Strömungen formt sich ein sinnvoller geschichtlicher Zug. Gleich den Regeln der Wahrscheinlichkeitsmathematik und Statistik kann man ein bestimmtes Ergebnis in seinem allgemeinen Effekt voraussagen. Aber man kann nicht sagen, wer die Träger dieser Entwicklung sein werden und wie sich das in Einzelheiten vollziehen wird.

In dem Bestreben, Ausdruck und Schöpfer dieser historischen Entwicklung zu sein, wird es immer Politiker geben. Die meisten von ihnen werden das Schicksal erleben, daß die Gegenwart ihr Werk mißachtet oder verkennt und erst die Geschichte ihre Leistungen belohnt.

' Vgl. „Die Furche“ vom 13. April 1963.

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