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Fast ein Fünf jahresplan

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Kurz vor Ostern legte der Bundesrat in Bern, also die gesamtschweizerische Regierung mit ihren nach wie vor nur sieben Ministern, hierzulande Bundesräte genannt, zum zweitenmal in der Geschichte dei Eidgenossenschaft „Richtlinien dei Regierungspolitik für die Legislaturperiode 1971 bis 1975“ vor. Sie sind in erster Linie für die Berner Parlamentarier gedacht, verdienen darüber hinaus aber Beachtung im Land, die sie mit Sicherheit auch finden werden. Da eine neugewählte Schweizer Regierung weder Parteien, noch Parlamenten direkt ihr Zustandekommen verdankt, ist sie ihnen auch keine Rechenschaft schuldig. Folglich entfällt auch die Nötigung eines eigentlichen Regierungsprogramms, wie dies in mehr parlamentarisch regierten Ländern der Fall ist. Die Bundesräte sind niemand als ihrem eigenen Gewissen — und herkömmlicherweise einem guten Geist der Kollegialität verpflichtet.

Um so aufmerksamer wird man hinhören müssen, wenn sie freiwillig Richtlinien bekanntgeben, ein Schwerpunktprogramm entwickeln, dem sie in ihren Regierungsgeschäften den Vorrang geben wollen. Bundesrat, Parlament und Volk werden nun, weitgehend mit gleichen Kompetenzen ausgerüstet, die Möglichkeiten der Realisierung untersuchen müssen. An der Spitze dei Untersuchung steht eine gründliche Analyse des allgemeinen Strukturwandels in Volk und Gesellschaft Die rapide Verstädterung, die Abwanderung aus Gebirgszonen, das übermäßige Zunehmen der mehr als 65 Jahre alten Bevölkerung, die grassierende Inflation, die Zunahme eines Gefühls der Sinnlosigkeit, nachdem man wirtschaftlich so ziemlich alles leisten kann: das sind einige der wichtigsten Stichworte für die Lage im Innern. Hier wird nicht selbstgefällig an einem Idealbild der Schweiz weitergemalt, aber auch nicht voller Selbstmitleid die Vergangenheit beschworen. Kräftige Appelle an den Gemeinsinn der Bürger werden folgen müssen und in vielen Kanälen zur Initiative von unten beitragen. Mehr Staat — das war in Schweizer Ohren noch immer ein verdächtiges Allheilmittel.

International wird sich zeigen müssen, ob die Vorbehalte der Eidgenossenschaft bei dem Freihandelsabkommen mit der EWG gewürdigt und vom Volk unterstützt werden. Was lange zu erwarten war, ist nämlich jetzt ausgesprochen worden: der EWG-Vertrag soll dem Referendum, also der Volksabstimmung, unterstellt werden. Nach einer Fülle von Abstimmungen, die rein innenpolitisch akzentuiert waren, komml damit auf die Stimmbürger zum erstenmal wieder eine Entscheidung von außenpolitischer Bedeutung zu Nicht viel anders dürften sich die Dinge in Richtung Beitritt zur UNO der die Schweiz noch immer nichl angehört, entwickeln. Es ist langsam untragbar, daß ausgerechnet ein Land mit so vielfältigen internationalen Nahtstellen und Verpflichtungen im Chor derer, die am East River Sitz und Stimme haben, nichl vertreten ist.

Bildungsplanung, Raumordnung und Energiepolitik — das sind einige Stichworte weiterer Zielvorstellungen des Bundesrats. Die anhaltende Dürre der letzten Monate fiel zeitlich mit einem lang erwarteten Gutachten zusammen, das der Errichtung weiterer thermischer Kraftwerke endlich grünes Licht gibt. Die Zer-siedelung von Grund und Boden, wie sie in letzter Zeit vor allem in dem Walliser Kurort Crans-Mon-tana erschreckend offenbar wurde, ruft nach verschärfter Anwendung längst bestehender Gesetze. Der Reibungsverlust in der Bildungsplanung, weithin Folge übermäßig föderaler Eigeninteressen, muß baldigst beseitigt werden. ,

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