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Harte Zeiten für Ungarn

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Ungarns geplante Steuerreform ist Teil eines wirtschaftlichen Sanierungsprogramms. Die politischen Implikationen - es geht gegen die Korruption - sind unverkennbar.

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Ungarns geplante Steuerreform ist Teil eines wirtschaftlichen Sanierungsprogramms. Die politischen Implikationen - es geht gegen die Korruption - sind unverkennbar.

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Die offiziellen Informationen über die geplante Steuerreform sind in Budapest recht spärlich. Den hiobsbotschaftsartigen Gerüchten hauptstädtischer Erfindungsgabe hat die Regierung vor kurzem lediglich mit dem Hinweis entgegenzuwirken versucht, daß die mit äußerster Gründlichkeit vorbereitete Gesetzesvorlage bald dem Parlament unterbreitet werde.

Eingeführt soll da ein neues Einkommens- und Umsatzsteuersystem werden, das ab einem bestimmten Jahreseinkommen eine Abgabe von 50 oder sogar 60 Prozent vorsieht. Mit Ausnahme der Rentner wird davon jeder betroffen, wenn auch nicht gleichermaßen. Lohn- und Gehaltsempfänger werden infolge der Umstellung aufs System von Brutto-und Nettoeinkommen zu einem Ausgleich kommen können.

Unternehmer, Künstler, Ärzte,“ aber auch Kellner und Taxifahrer wittern jedoch Unheilvolles — die letzteren deshalb, weil die Reform auch eine Pauschalversteuerung von Trinkgeldern vorsieht.

Die Mehrheit der Bevölkerung ist zwar wenig begeistert, doch auch diesmal bewahrt sie eine gewisse Gelassenheit, in die sich allerdings etwas Schadenfreude darüber mischt, was „den Reichen“ bald ins Haus stehen wird. Es ist ja schon längst kein Geheimnis mehr, daß man hierzulande nur auf ungesetzlichem Wege „wirklich reich“ werden kann.

Inhaber mehrstöckiger Luxusvillen und westlicher Straßenkreuzer verdanken ihr Vermögen — das ohnehin in keinem Verhältnis zu ihrer tatsächlich geleisteten Arbeit steht — vor allem jenen korrupten Nutzbeziehungen, die die Regierung im Rahmen ihres gerade zur internen Diskussion stehenden „wirtschaftlich-sozialen Stabilisierungsprogramms“ eliminieren will.

In erster Linie geht es da um die Beseitigung der zum größten Teil längst überholten Strukturen im Bereich der Wirtschaft, Verwaltung und Politik. Der ökonomische Teil des Programms zielt auf den wirkungsvolleren Ausbau des Marktes ab, und zwar durch die Erweiterung der Selbständigkeit der Produktionsbetriebe sowie mittels der Einstellung der staatlichen Dotationen für unrentable Unternehmen.

Dadurch ergibt sich ein in den COMECON-Ländern bisher einzigartiges Phänomen: das der Entlassungen beziehungsweise der Gefahr der Arbeitslosigkeit. Die Befürchtung der Regierung, daß die diesbezüglichen Maßnahmen bei der Bevölkerung auf wenig Verständnis stoßen werden, ist durchaus berechtigt.

Wahr ist allerdings auch, daß. sie bereits ernsthafte Vorkehrungen getroffen hat: Umschulung,Arbeitslosenhilfe beziehungsweise Pensionen sollen zur Lösung der Probleme beitragen.

Die Kosten dafür trägt freilich der Staat—nicht zuletzt aus jenen Mitteln, die durch die Steuerreform frei werden. Als Ausgangskapital dient in dieser Hinsicht unter anderem eine vor kurzem von 39 westlichen Kreditanstalten — darunter auch von österreichischen Banken — gewährte 400-Millionen-Dollar-Anleihe, deren Vorbedingung der Ubergang zur Strukturreform war.

Die geplanten Entlassungen betreffen allerdings nicht nur die Produktion, sondern auch das Verwaltungswesen, dessen überholte Bürokratie nunmehr radikal abgebaut werden soll. Auch in diesem Bereich wird künftig mehr qualitative Leistung verlangt.

Den Organen des Staates und der Gesellschaft fällt demnächst auch noch die Aufgabe zu, die Tätigkeit neuer, etwa in Form von Bürgerinitiativen entstehender Foren zu fördern, die eigene Interessen vertreten. Gedacht wird auch an eine spätere Integration dieser Interessengemeinschaften in ein entsprechend reformiertes Parlament.

Die Partei ist sich dessen wohl bewußt, daß die als „nationale Einheit“ bekannte Toleranzgren-ze seitens der Bevölkerung in der bevorstehenden Reformphase stark beansprucht wird — sie ist jedoch bestrebt, die aufkommende Unzufriedenheit und die Spannungen als Gestaltungskräfte in den Reformprozeß zu integrieren.

Die Regierung möchte in dieser Hinsicht allerdings auch bald einiges bieten: Als dringlichste soziale Probleme gelten die Linderung der Wohnungsnot und die Verbesserung der finanziellen Situation der Rentner.

Ungarn stehen wirtschaftlich härtere Zeiten bevor. Doch im Gegensatz zu früheren Krisen — und auch zu manchen Bruderländern — darf mit der aktiven Mitwirkung der Bevölkerung an der Fortgestaltung des Reformwerkes sowohl in gesellschaftlicher als auch in politischer Hinsicht gerechnet werden. Und das ist selbst beim stagnierenden Lebensniveau ein nicht zu unterschätzender Schritt auf dem Weg zu mehr Mitbestimmung.

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