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Humanökologie und Ethik Die Natur als Mitwelt

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Auch für das dritte „interdisziplinäre Gespräch” des ORF Studio Salzburg im Februar war wieder das gemeinsame Interesse für den Menschen in seiner Ganzheit sowie die Einsicht bestimmend, daß nur eine integrale, den geistes- und naturwissenschaftlichen Aspekt in gleicher Weise berücksichtigende Anthropologie dem Menschen gerecht zu werden vermag.

„Ganz gewiß wird es dem Menschen nicht gelingen, die belebte irdische Schöpfung in den Abgrund zu stürzen, das Leben auf dieser Erde und damit die Biosphäre zu vernichten” sagt Prof. Günter Altner, „aber die Menschheit könnte es immerhin erreichen, daß sie die Biosphäre so weit zum Umkippen bringt, daß sie sich auf einem Niveau einpendelt, das für höhere Säugetiere einschließlich des Menschen katastrophale Reduzierungen und ungünstige Evolutionschancen bietet.” Jener naturgeschichtliche Trend, der einstmals zum Menschen geführt hat und von dem dieser heute noch zehrt, könnte abgeblockt oder zumindest auf einem für den Menschen ungünstigen Evolutionsniveau in eine neue Richtung gebracht werden.

„Bisher hat sich der Materialismus begnügt, die Welt zu verändern. Jetzt kommt es darauf an, sie zu erhalten.” Mit dieser nicht nur originellen, sondern auch einleuchtenden Paraphrase der 11. Feuerbachthese von Karl Marx setzte der deutsche Schriftsteller Carl Amery, einer der führenden Exponenten der ökologischen Bewegung in der Bundesrepublik Deutschland bereits am Beginn einen entscheidenden Akzent. „Wie werden, wie sollen unsere Enkel leben?” war das Thema seines Eröffnungsreferates. Solange nur die kalte Neugier des Extrapolators die Frage stellt, ist sie uns verboten, sagte Amery. Stellen wir sie aber moralisch, sind wir gerichtet, wenn wir uns nicht verändern. Uns, und nicht die Welt. Es gelte, den inkonsequenten ökonomischen Materialismus in einen ökologischen zu verwandeln, der die Materie, die belebte, wie die unbelebte, ernst nimmt. Carl Amery übte Kritik an der von wissenschaftlichem Ehrgeiz gespeisten Prognostik der Futurologen, die auf der Extrapolation der wahrscheinlichkeitsrechnerischen Fortschreibung des Erhofften oder Befürchteten beruht. Lese man heute die Prognosen von 1960 oder 1965, so nehmen sich diese kaum weniger altmodisch, kaum weniger wirklichkeitsfremd aus, als die Zukunftsromane von Jules Verne. Und so könne es passieren, daß die im Kleid der Wissenschaftlichkeit auftretende Prognostik gänzlich verschiedene, ja konträre Zukünfte für uns bereithält: Daß wir auf eine hedonistische Zukunftskultur in unglaublicher Güterfülle - oder aber auf eine Wüstenei und ein Dasein in entsetzlicher Armut warten dürfen.

Ein Zusammenbruch globalen Stils sei keineswegs auszuschließen, und das Beste, das uns unter diesen Umständen widerfahren könne, seien Teilkrisen regionalen Charakters, wie sie sich bereits jetzt bemerkbar machen. Die einzige Alternative sei die Initiierung einer Gesellschaft mit neuen Wettbewerbszielen - gleichgültig, ob die Bequemlichkeit, an die man heute als die ultima ratio zu appellieren pflegt, dabei zum Teufel geht oder nicht.

Albert Schweitzer hatte einst seine Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben entwickelt, die eine Grenze für die menschliche Lebenspraxis impliziert. Keine berechenbare, objektivierbare Grenze, sondern eine, die auf einem allen messenden Methoden voranliegenden Wertgefühl beruht. Diese Ethik bestehe darin, „daß ich die Nötigung erlebe, allem Willen zum Leben die gleiche Erfurcht vor dem Leben entgegenzubringen wie dem eigenen.” Diese Forderung aber steht zu jenen Denk- und Praxisformen in krassem Widerspruch, die sich in den letzten vierhundert Jahren in der ganzen Welt durchgesetzt haben.

Wir haben uns daran gewöhnt, in der Natur ausschließlich einen Gegenstand wissenschaftlicher Erkenntnis, ein Objekt der Ausbeutung oder den Ausgangspunkt menschlicher Emanzipation zu sehen. Hingegen ist uns die Natur als Mitwelt, die auch in die Bezüge der Ethik Eingang finden müßte, weitgehend verschlossen. Letztere bleibt ausschließlich dem Menschen und den zwischenmenschlichen Beziehungen vorenthalten.

Univ. Doz. Dr. Peter Kampits, Wien, sah in dieser geistesgeschichtlichen Hypothek eines extremen Subjektivismus die Schwierigkeit in der Begründung einer humanökologischen Ethik. Gerade für die philosophische Ethik bedeutet die ökologische Krise daher eine ernste Herausforderung.

Das neue, nicht objektivierbare Naturverständnis, das allein die Voraussetzung einer humanökologischen Ethik sein kann, müsse, um nicht in privatistische Innerlichkeit abgedrängt zu werden, mit dem objektivistischen Naturverständnis der modernen Wissenschaften und der Technik in kritische Konfrontation treten, betonte Günter Altner. Altner, sowohl Biologe, als auch protestantischer Theologe, übte scharfe Kritik an dem inhumanen Zeitbegriff des wissenschaftlich-technischen Fortschritts, in dem weder die Endlichkeit, noch der Tod Vorkommen. Die immer deutlicher in Erscheinung tretenden „Grenzen des Wachstums” seien eine Chance, um sich von der Illusion eines endlosen Fortschritts zu lösen. Es gelte, der konstitutionellen Endlichkeit des Menschen inne zu werden und den unaufhebbaren Zusammenhang zwischen Leben und Tod zu erkennen.

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