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Keine Zeit mehr fur Sandkastenspiele

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Fur politisch engagierte Menschen muß es nun schon wahrhaft unerträglich sein, der Stagnation im europäischen Einigungsvollzug noch länger tatenlos gegenüber zu stehen. Kann man diesem, von nationaler Nabelschau übermäßig strapazierten Europa überhaupt noch neups Leben einhauchen?

Seit dem Zweiten Weltkrieg hat es mehrere Versuche gegeben. Anlaßlieh des Todes von General George C. Marschall am 18. Oktober 1959 hatte der luxemburgische Regierungschef Pierre Werner zurecht darauf hingewiesen, daß die amerikanische Wirtschaftshilfe auch das Ziel gehabt habe, den europäischen Ländern „einen neuen Geist der Zusammenarbeit einzuhauchen. Die Resultate sind bekannt. Die römischen Verträge sind praktisch ausgeschöpft. Europa kann noch immer nicht mit einer Stimme sprechen.

Im Gegenteil: Zunehmender Protektionismus jenseits des Atlantiks, anschwellende Skepsis gegenüber der politischen Entwicklung in westeuropäischen Ländern mit ihren verteilten, vielfach diffusen Ansichten über die Einführung wirksamer Abschreckungswaffen haben zu politischen Verhältnissen geführt, auf die sich neben den Sowjetrussen auch die neueren Kräftegruppierungen im Mittelmeerraum von Tag zu Tag besser einspielen. Das ist nicht neu. Jeder weiß es! Ist daher die Frage berechtigt, ob Europa so dekadent geworden ist,'daß seine Politiker nicht mehr imstande sind, das als richtig Erkannte auch durchzusetzen?

Belgiens Ministerpräsident Tin-demans hat diese Frage vor einigen Tagen erneut gestellt. Hollands Regierungschef van Agt machte seine erste offizielle Amtsreise nach Luxemburg, um seinen Kollegen Gaston Thorn zu konsultieren. Die Benelux-Premiers wollen Europa neues Leben einhauchen. Das kann auf vielfältige Weise geschehen. Die Wirtschaftseinheit Benelux bietet dafür - trotz ihrer immer noch bestehenden 40 Zollgrenzämter für den internen Warenverkehr - eine gute Ausgangsbasis. „Europameetings“ an den Nahtstellen benachbarter Grenzkreise vereinigen Spitzenpolitiker und Bürger. Die Bevölkerung soll zum dynamischen Motor für ein direkt gewähltes Europarlament werden. Die augenblickliche Lage gibt Europarteien die letzte Chance. Die Verantwortung der Christdemokraten ist größer geworden, seitdem die Sozialisten immer wieder zeigen, daß sie nicht imstande sind, eine ernsthafte europäische Bewegung in Gang zu setzen. Sandkastenspiele sind nicht genug. Zwischen Breschnew und Carter hätte schon längst die Stimme Europas erschallen können. Oder ist es dafür schon zu spät?

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