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Kreiskys Flirt mit der Industrie

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Vor einiger Zeit wurde in der „Presse" von der Bun-deswirtschafts-kammer die Meldung über engere Kontakte zwischen Bundeskanzler Dr. Kreisky und führendea Männern der Industrie lanciert. Verschiedene Details wurden zwar berichtigt, doch der Kern der Meldung entspricht zweifellos den Tatsachen. Wer Kreisky kenTit, wird darüber auch nicht überrascht sein. Sein Vorbild ist Schweden, wo sich eine Art Idealzustand für die de’mokratischen Sozialisten herausgebildet hat, der immer mehr seine faszinierende Wirkung auszuüben beginnt: eine sozialistische Regierung aiuf der einen und eine nach kapitalistisdien Marktgesetzen arbeitende Industrie auf der anderen Seite mit dem Ergebnis, daß eine blühende Wirtsdiaft, ein hoher Lebensstandard und eine weitgehende soziiaJe Gerechtig’keit zustande kommen. Daß es manchmal Störungen gibt, wie beispielsweise der gegenwärtige Streik der schwedischen Akadeimikergewarkschaft, tut dem Ganzen keinen Abbruch ucd zeigt nur die sdiwadieo Steilen auf, die aiuch dn einer Erfolgswirtschaft auftreten können. Darüber hteaw führt bisweilen audi das Streben nadi sozialer Gereditigkeit zu sozialen Unigerechtigkedten. Österreich kämm erst seit Mitte der fOnfziiger Jahre als ein Industrieland nach modernen Vorstellungen bezeidmet wenden. Nadi einem vorübergehenden Tief aim Beginn der «ediziger Jahre hat die Indiustrieentwidclung in unserem Land einen enormen Aufschwung genommen und erreichte mit mehr als 620.000 Besdifif-tigten derzeit einen Höhepunkt. Kredšky ist diese EntwHdclunig hödist willkommen, sieht er in ihr dodi die Voratissetzung für die Realisierung seiner schwedisdieo Träume. Fast alle sozialdstisdien Regierungen, ob in Deutschland oder in Österreich, haben auf Grund der Erfahrungen in der Vergangenheit Furcht vor einer Arbeitslosigkeit. Um die Vollbeschäftigung zu erhalten, nehmen sie aiudi eine sdileidiende Inflation in Kauf. Diese führt jedoch zu Teueirungen, und eine fortgesetzte Preiserhöhung beschwört massive Lohnforderungen herauf. Dieser Teufelskreis ist nur zu durdibrechen, wenn Produktion und Produktivität ständig iteigen. Dies kann wiederum nuir gesdiehen. wenn di« Industrie investiert. Sie wiird es aber nur dann, wenn sie Vertrauen zur Re^cierung hat. Entgegen allen Voraussagen der ÖVP kam die Minderiietitsregierung mit ihrer Wirtschaftspolitik verhältnismäßiig gut über die Runden. Selbst wenn die Volkspartei, übrigens mit Recht, die günstige Wirtschaftslage teilweise aiif das Konto ihrer Alleinregierung buchen kann, so ist doch nicht zu übersehen, daß die Regierung Kredsky mit einem nicht zu leugnenden Geschick an die wirtschaftlichen Probleme herangegangen ist. Sie brachte die kleine Steuerreform, schaffte einen TeU der Sondersteuern ab und gab vergangene Woche auch einen Entwurf zur Einführung der Mehrwertsteuer heraus, alles Aktionen, die auch von der ÖVP-Alleinregieriung als notwendig erkannt wurden, die sie aber auf Grund der Interessengegensätze in ihren eigenen Reihen immer wieder mit dem Hinweis auf die großen Reformen der Zukunft zurückstellte. Die Minderheitsr^gie-rung taktierte auch auf dem Preissektor sehr vorsichtig, obsdion sie hier nidit ganz ihre parteipolitisdie Herkunft leugnen konnte. I’mmerhin gelang ihr selbst auf dem Gebiet der Landwirtschaft etwas, was bisher von den ÖVP-Landwirt«chaftsn™iniBtem mac Dr. Sdiileinzer, aber auch dihm nidit in eoldiem AMsmaO, gelungen ist: die Abschaffung des Butterberges.

Daß die Minderhedtsregierunig bisher auf dem Gebiet der Wirtsdiaft verhältnismäßig erfolgreich arbeiten konnte, verdankt sie einerseits der Einsicht und dem Wohlwollen der Geweritschaften, anderseits aber audi der neutralen Haltung der österreichischen Industrie. Diese verhielt sidi auch politisch neutral, das heißt, sie dränigte weder auf eine Ablöse der Minderheitsregierung noch arbeitete siie auf eine Große Koalition hin. Die Vertreter der Industrie mögen eine Menge weitan-schaulicher Bedenken gegen eine Regierung in der gegenwärtigen Zu-sammensetoung haben, wirtsdiafts-politisch jedoch tun sie sich in manchem leiditer als mit einer ÖVP-Re-gieruirag oder gar einer Regierung, die von einer Großen Koalition gebildet wird. Beispielsweise kündete Kreisky einen zehnjährigen Investitionsplan an, womit er gleidifalls der Industrie entgegenkommen will, die nun die Schwerpunkte der Wirtschaftspolitik der Regierung kennt und ihrerseits vorausplanen kann. Die Industrie verlanet für ihre neutrale Haltung gegenüber TCreisiky von diesem eine neutrale Ha’’.ti.ing in der Frage des Betriebsrätegesetzes und eine positive Einstellung zu den Markt- und Kreditgesetzen, die in der ttädisten Zeit gesdiaffen werden müssen.

Man wird abwarten müssen, wie sich Kreisikys Flirt mit der Industrie entwickelt. Grundsätzlidie Bereitschaft besteht auf beiden Seiten, da sie von einem guten Einvernehmen nur profitieren können. Wie sehr allerdings weltanschauliche Bindungen, die auch tief in wirtschaftspolitische Gebiete reichen, und Interessenkollisionen schwer zu überwindende Hindemisse aufbauen, wird die Zukunft zeigen. In seiner Pressekonferenz, bei der audi der Präsident des ÖGB, Anton Benya, anwesend war, erklärte Kreisky mit allem Nachdruck, daß die Regierung nicht immer am gleidien Strang mit der Gewerkschaft ziehen werde. Das dürfte bis zu einem gewissen Ausmaß audi für das Verhältnis zwisdien ÖVP und Indiuistrie gelten.

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