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Liebe, Geduld und Vertrauen sind wieder gefragt
Mit dem Thema „Kinderprobleme -Problem Kinder“ hat die 27. Internationale Pädagogische Werktagung in Salzburg eine wichtige Thematik aufgegriffen. Zweifellos wurden im letzten Jahrzehnt manche erzieherischen Einstellungen verändert, zum Teil sogar radikal in Frage gestellt. Der Rekurs auf die „Grundbefindlichkeit“ des Kindes ist heute um so wichtiger, als im letzten Jahrzehnt von unterschiedlichen ideologischen Ansätzen aus eine Vielzahl pädagogischer Moden kreiert wurde, wie die „antiäutori-täre Erziehung“, die „kritische Pädagogik“, die „gesellschaftlich erwünschten Verhaltensweisen“ oder die „Operationalisierung demokratischer Einstellungen“.
Da die Erziehungswissenschaft nach dem Wesen des Menschen, seinem Verhalten und nach der Veränderbarkeit des Menschen selbst fragt, ist sie natürlich als Humanwissenschaft dem Zeitgeist und den modischen Bestrebungen mehr ausgesetzt als etwa die Naturwissenschaften. Pädagogische Moden pflegen immer dann aufzutreten, wenn die Pädagogik keine adäquaten Antworten findet und die latenten Bedürfnisse der zu Erziehenden nicht erfüllt, wie etwa in der Frage nach dem Sinn der Autorität, in der Frage nach der Sinnhaftigkeit gegenwärtiger Erziehungsziele oder in der Frage nach der Chancengerechtigkeit im Bildungswesen.
So hat die Pädagogik seit ihrer „realistischen Wende“ ihre Ausgangs- und Legitimationsbasis geändert. Demnach werden Erziehung und BUdung immer mehr von der gesellschaftspolitischen Perspektive her bestimmt. Seit die Erziehungswissenschaft sich einerseits immer mehr als Gesellschaftswissenschaft versteht, vollzieht sich die Erziehung folgerichtig immer mehR-als-Funktion der Gesellschaft, oder um es modiseh auszudrücken, als „Sozialisation“. Dieser modische Begriff scheint heute fast alle Erziehungsgebiete erfaßt zu haben. Durch die „Sozialisierung“ wurde das pädagogische Verhältnis von der personbezogenen Autorität befreit und im Sinne des neuen Begriffes der „Interaktion“ demokratisiert.
Aus diesem verkürzten Verständnis des pädagogischen Verhältnisses als rollenbestimmende Interaktion hat sich ein pädagogischer Verbalismus entwickelt, der in einer naiven Uberdehnung des Begriffes als demokratisch bezeichnet wird. So glauben heute viele, daß man Erziehungsprobleme am besten dadurch löst, indem man mit dem Kinde spricht, die Probleme ausdiskutiert und mit ihm gemeinsam Handlungsstrategien erarbeitet.
Demgegenüber versuchte einer der bedeutendsten Erziehungswissenschaftler im deutschen Sprachraum, Otto Friedrich Bollnow, auf dieser Werktagung mit seinem Vortrag „Uber die Tugenden des Erziehers“ seine Zuhörer zu provozieren. Bollnow analysierte scharf den Erziehungs Vorgang und stellte schließlich die Frage nach den Voraussetzungen, die die Erziehung überhaupt erst gelingen lassen.
Dabei fordert er die „Tugenden des Erziehers“. Uber die Tugenden des Erziehers zu sprechen, sei heute ein gewagtes Unternehmen. Man setzt sich dem Verdacht aus, vor einer nüchternen wissenschaftlichen Behandlung des Erziehungsvorganges in eine billige moralisierende Betrachtungsweise zurückzuweichen, die man durch die Ausbüdung einer empirischen Erziehungswissenschaft endlich überwunden zu haben glaubte.
Bollnow griff drei Tugenden heraus, die ihm beim Erzieher für das Gelingen seiner Bemühung besonders wichtig erscheinen: die erzieherische Liebe, die Geduld und das Vertrauen. „Die Liebe ist eine Tugend, die erst in strenger Selbsterziehung in immer neu geübter Geduld und Zurückhaltung erworben
werden muß. Der Erzieher wird an der Selbsterziehung geboren“, sagte Bollnow wörtlich. Geduld fordert das Vergebenkönnen und die Kraft zu einem neuen Anfang. Das geht oft an die Grenzen .des Menschenmöglichen, und das kann der Erzieher nur leisten, wenn er über alle Rückschläge hinaus das feste Vertrauen hat, daß auf die Dauer gesehen seine geduldige Arbeit nicht vergebens ist. Der Glaube an einen Menschen hat eine schöpferische Kraft, so daß er, wie Nicolai Hartmann feststellt, „eben dasjenige, woran in einer fremden Person er glaubt, in ihr auch wirklich hervorbringt“.
Die Wahrheit scheint heute wieder aktueller zu werden als alle modischen Bestrebungen.
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