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Die Stimme der Eltern

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Wenn wir Eltern an einer Schulfrage zu tiefst interessiert sind, so an der Ausbildung unserer Pflichtschullehrer. Wir bangen um das letzte Schulparadies unserer Kinder. Die Eltern mißtrauen wortreichen politischen Erziehungsplänen, die den Herren schmeicheln und das Kind vergessen, und lieben die gütige Entwicklungshilfe, ehe das Chaos des Lebens die Sinne bedrängt. Der Kampf um eine organisch vor dem Gespenst „Kurs", dem drei destruktive Momente eigen sind: Nivellierung, Oekonomie und Unbeständigkeit Eine Schule ist ein Gefüge, ein Kurs ein Gemenge! In jener bilden sich Erkenntnisse in organischem Aufbau, in diesem häuft sich Wissenswertes an und verleitet zu jener Oberflächlichkeit und Gleichförmigkeit, die dem Einkauf in einem Warenhaus ähnlich ist. Der Elementarlehrer braucht nicht ungewöhnlich viele, aber bedeutsame Erkenntnisse, die eine fast sakrale Ordnung widerspiegeln — der Kinderseele gemäß. Der Zeitgeist drängt zum „Gebrauchs- und Verbrauchsstandpunkt", auch im Wissen. Diesem Wort fügt der berühmte Pädagoge Spranger die Bemerkung an, „Lehr-Werkstätten" des Geistes würden die Kulturkatastrophe nur verewigen. Hier wird gleichsam ä la carte gespeist. „Das Pädagogium" als Berufsschule mit Hochschulreife verbindet in glücklicher Weise innere Zweck- und Wissensbildung. Diese adelt den Geist, jene prägt die feste Verantwortung. Das Kind braucht treue Beständigkeit des Lehrers. Kurse, auch wenn sie Akademien heißen, entbehren der geschichtlichen Bindung und erhalten rasch den Charakter des heute beliebten Forums. Wir fürchten allzu agile Bildungsregisseure, die im Zeichen der „Lebensnähe" den gefügten Stundenplan zu einem kriegerischen Fahrplan machen. Wir haben Angst vor den flottanten Vertretern von Ideen. Wer nicht im Beständigen aufwächst, verwirrt die heimliche Entfaltung des Kindes. Er ist Unterrichter, doch nie Erzieher.

Was fordern die Eltern daher von der Lehrerausbildung, von bitteren Zeitnöten bedrängt und dem Kinde, nicht Programmen verpflichtet? Ein Dreifaches: Organische Gestaltung, Innerlichkeit der Bildung und tiefe pädagogische Gesinnung.

Wie ein bedächtiger Schulweg übers Land das Kind empfänglicher „vorbildet" als die Flucht über verkehrsreiche Straßen, so prägt sich in einem geschlossenen sechsjährigen Bildungsgang ein Erziehungsstil tiefer ein als in zwei Jahren. Einst war man stolz auf diese besondere Prägung! Ein integrales Berufsideal bedeutet lebendige Beständigkeit. Sie hat der Pflichtschullehrer einmal den Kindern vorzuleben, vor allem in einer Zeit, die reich an chaotischen Kräften ist. Wie dankbar begrüßen die Eltern immer wieder die Geborgenheit, die das Pädagogium schenkt. Sind wir nicht etwas mißtrauisch geworden gegen allzu freie Formalbildung und wünschen wir nicht Treue und bildsame Konstanz? Ein Berufsideal bietet Entfaltung und Geschlossenheit zugleich. Die Vielfalt der Fächer steht doch unter dem „Gericht der Berufung". Warum will man dieses innere Maß der treuen Gestaltung einer Schule nehmen?

Nicht grenzenlosen Höhenflug kennzeichnet das Leben des Kindes, sondern die Kraft und Innigkeit des Elementaren. Diese Innerlichkeit der Bildung, diese Nähe zu den Urakten der Erziehungsbewegung darf der Jugendbildner nie verlassen. Alle seine Ideen liegen im Tiefenreich der „Mütter", wo Faust sie suchte. Voll Sorge vermerken unsere bedeutenden Erzieher den Verlust, der elementaren Bildkraft, aus der ein Volk lebt, und warnen vor der Fülle des „Angelernten". „Die Erschließungen unseres Innern sind unser kostbarster Besitz" Spranger. Selbst die wissenschaftlichen Fächer dürfen im bauenden Bildungsgang diesen Fruchtboden nie verlassen. Denn das Kind verlangt einst darnach. Sogar das Musische, dem an der Lehrerbildungsanstalt ein breiter Raum zubemessen ist, dient letztlich der Bewahrung des Anschaulichen und der Innigkeit der Gestaltungskraft. Gigantische Begriffskuppeln mögen andere konstruieren. Der Lehrer ist ein Baumeister des Grundes. Sollte gerade Oesterreich, das uns hier allein interessiert, diese Nähe und Innerlichkeit verraten zugunsten eines raschen Erwerbes von Begriffen und Gesetzen? Und dies in Erkenntnis der Tatsache, daß wir zwei Drittel Landschulen haben?

Die pädagogische Gesinnung ist das echteste Kennzeichen der Lehrerbildungsanstalt. Man lernt sie nicht als Fach„päd- agogik" sie wäre ebensowenig wert als nur aufgesagte Staatsbürgerkunde!. Das Pädagogische durchdringt als Medium alle Fächer und verdichtet sich nur im Fache „Pädagogik". Wie das Gymnasium während acht langer Jahre in unzähligen kleinen Begegnungen die Umwandlung zum Humanisten anstrebt, so bedarf die „pädagogische Umwendung" der reifenden Zeit, damit sie Substanz würde. Das Heimischwerden im Pädagogisehen ist das Ziel. Der Wege dazu gibt es viele. Der Geist der Pflichtschule wirkt wie ein geheimes Modell in die praktisch-pädagogische Gestaltung der einzelnen Gegenstände. Die Unterrichtsprinzipien dringen selbst auf höherer Bildungsstufe immer wieder durch. Ferner: wie dem Gewerbeschüler etwa mathematische Fragen unter technischem Aspekt zügiger werden als an sich, „berufslos" betrachtet; wie dem Denker kühle philosophische Wahrheiten in religiöser Haltung innerlichst aufleuchten, so gewinnen im „Lichte des Pädagogischen" alle Unterrichtsfächer eine besondere „pädagogische Eigenart". Sichtung,. Darlegung und Sinngebung stehen in bewußter Koordination zur Elementarbildung. Je reicher und unübersichtlicher unser menschliches Wissen wird, um so notwendiger wird eine Auswahl, die nach dem Berufe variiert. Was bedeutet ferner die Methodik, die jedem Pro- fessor in seinem Fache aufgetragen ist? Ein Zweifaches: eine wahrhaft sokratische Lust, den Zugang zur Wahrheit der Jugend zu eröffnen, geleitet von einer Liebe zum werdenden Leben! Daher steht im Pädagogium gerechte Hilfe vor kühler Auslese. Mag dieses Suchen des Zuganges mühsamer sein und ärmer wirken als Auswahl: um des Wunders des Weges willen kann manches Ziel versäumt werden. Zum Zweiten aber: auch die Fachkenntnisse behalten diesen „Mitteilungscharakter". Ein Forscher kann die Wahrheit für sich behalten, ein Lehrer muß sie „weitersagen". Platon sprach von einem geistigen Zeugungswillen im Erzieher. Die Unart des ewigen Belehrens geht oft auf diese „Radioaktivität" der Erkenntnisse zurück. Trotz Hochschulreife unterscheidet sich das Pädago gium hier mit Recht von den anderen Mittel , schulen.

Der Bildungscharakter im Wissenserwerl weckt und formt die soziale M i t v e r antwortung und die ethisch-reli i giöse Gesinnung, die in einer geschlos senen Anstalt wesenhaft gepflegt wird. Wei ; will die Behauptung wagen, daß man dami : erst mit 20 Jahren beginnen solle? Die Ver antwortung vor dem Kinde verleiht der Gesin nungspflege eine besondere Eigenart. Nirgend: : wird die pädagogische Transparenz so deutlicl wie hier. Nur ein sechsjähriger „organische: Schulweg", bewegt und beständig zugleich schützt uns vor Verwirrung. Nehmt nicht der Eltern um des äußeren politischen Schema: willen ein Stück österreichischer Bildungs heimat!

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