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Maßstab Konsum

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Die Absichtserklärungen in den einschlägigen Schulbüchern für die berufsbildenden mittleren und höheren Schulen sind löblich. „Der Lernende soll verstehen, daß der Mensch im Mittelpunkt allen Wirtschaftens steht“, heißt es beispielsweise in dem 1982 erschienenen Buch „Wirtschaft — mitdenken - mitgestalten - mitverantworten“ von Horst Knapp. Die tatsächlichen Ausführungen freilich sehen anders aus. Der Grund für dieses Auseinanderfallen

liegt, so meine ich, in der Unterbelichtung der (Familien-)Haus-halte.

In den Büchern für Volkswirtschaftslehre wird durchgehend der „Haushalt“ als „Wirtschaftseinheit, die nur konsumiert“, verstanden (etwa bei Charlotte Langer). Was wohl die Hausfrauen/ Hausmänner dazu sagen?

Das Abschieben der Haushalte bloß auf die Seite der Verbrauchs- beziehungsweise Mittelverwendungswirtschaft übersieht den elementaren Tatbestand, daß die in der Regel auf dem Markt erworbenen Güter für den Verbrauch aufbereitet werden müssen. Speisen müssen zubereitet, Halbfabrikate konsumfertig gemacht werden — produktive Leistungen, die etwa in einem Restaurant teuer zu bezahlen sind. „Der Handel macht das marktreife Gut konsumreif“ (etwa Roland Nitsche in dem 1984 erschienenen Buch „Lebendige Wirtschaft“) ist unrichtig und typisch für die Verkennung der produktiven Dimension des Haushalts.

Man könnte geneigt sein, die Unterbestimmung des Haushalts als Stätte bloßer Konsumtion ab-zutun: als ökonomisches Randthema und peripher für das Verständnis vom Menschen. Die Konsequenzen aus dieser verkürzenden Betrachtungsweise der häuslichen Unterhaltswirtschaft belehren uns jedoch eines anderen.

Als Grundregel für das wirtschaftliche Handeln anerkennen die Volkswirtschaftslehrbücher

lediglich das „ökonomische Prinzip“, das beispielsweise folgendermaßen formuliert wird: „Mit den vorhandenen Mitteln soll ein möglichst hoher Ertrag, das angestrebte Ziel soll mit einem möglichst niedrigen Aufwand erreicht werden. Wirtschaften heißt vernünftig (rational) zu handeln.“ (Langer)

Das Fehlen inhaltlicher Zielsetzungen des Wirtschaftens führt aber in einen ökonomischen Formalismus. „Haushalten bedeutet... Sicherung der Bedarf sdek-kung um der menschlichen Daseinsbehauptung willen“, formuliert der Nationalökonom Erich Egner in „Der Haushalt“ (1976). Haushalten dient also der menschlichen Lebenserhaltung. Die in den Lehrbüchern — in Ab-koppelung von der häuslichen Unterhaltswirtschaft und in Anlehnung an die „Erwerbswirtschaft“ - vorgetragene, bloß formale Auffassung des Wirtschaftens besitzt kein Kriterium für die Sinnerfüllung oder -Verfehlung

dieses Tuns.

Das Fehlen eines Unterscheidungsmerkmals zwischen unterhaltsgerechter Wirtschaft und Scheinwirtschaft wird an der Hilflosigkeit gegenüber der Wachstumsproblematik offenkundig. Im Sinn dieser unkritischen Wachstumsphilosophie heißt es etwa bei Paul Raschek („Volkswirtschaftslehre und Soziologie“ 1982): „Im Hinblick auf die mit dem erhöhten Konsum verbundene Vollbeschäftigung ist die Herstellung langlebiger Gebrauchsgüter problematisch.“ Man kann nur über die Selbstverständlichkeit staunen, mit welcher hier die Perversion eines Systems (Vollbeschäftigung durch programmierten Verschleiß und Verschwendung) dargestellt wird.

Ob auf diese Weise die durch den Lehrplan vorgeschriebene „Bildungs- und Lehraufgabe“, „die Schüler... zu wirtschaftlich richtigem Verhalten (zu) erziehen“, erfüllt wird?

In allen Volkswirtschaftslehrbüchern wird, lapidar formuliert, die Behauptung aufgestellt: „Die Bedürfnisse des Menschen sind unbegrenzt.“ Knapp verfeinert sie, indem er den Haushalten unbegrenzte Bedürfnisse und einer interessenfreien Wirtschaft bloß „knappe Güter“ zuordnet. Damit

„... werden volkswirtschaftliche Gegebenheiten auf den Kopf gestellt.“

werden aber volkswirtschaftliche Gegebenheiten und dementsprechend das Verständnis vom Menschen gründlich auf den Kopf gestellt. Die Zuordnung müßte in Wahrheit nämlich eine umgekehrte sein. Die häusliche Unterhaltswirtschaft dient der an sich begrenzten Bedarfsdeckung der Haushaltsmitglieder. Sie trägt somit ihre Grenze in sich.

Durch die generelle Unterstellung unbegrenzter Bedürfnisse wird die permanente Anstache-lung der grenzenlosen Habgier des Menschen etwa durch die Werbung noch legitimiert: jener „Werbung, die uns gar nicht vorhandene Bedürfnisse suggeriert“ (Knapp).

Dem Wegfall inhaltlicher Zielbestimmungen des Wirtschaftens entspricht eine bloß utilitaristische Einschätzung des Individuums einschließlich der Verwischung des Unterschieds zwischen positiven und negativen, zwischen lebensförderlichen und dem Leben abträglichen Werten. Welche Blüten das diesbezügliche Fehlen normativer wirtschaftsethischer Überlegungen treiben kann, illustriert die bei Knapp „nach der Maslowschen Bedürfnispyramide“ aufgestellte Rangordnung der menschlichen Bedürfnisse. Danach bildet die „Selbstverwirklichung durch ... Macht über Menschen“ die absolute Spitze. Verkörpert also der Tyrann die höchste Form menschlicher Selbstverwirklichung?

Den Menschen in den Mittelpunkt allen Wirtschaftens zu rük-ken, ist zwar die erklärte Absicht aller einschlägigen Schulbuchautoren, aber dies kann nicht ohne Rückbesinnung auf die „haushälterische Vernunft“ gelingen. Zentrale Aufgabe der haushälterischen Vernunft ist seit alters her die Bestimmung des Maßes der Lebenshaltung. Und dieses ist begrenzt.

Der Autor ist Sekretär des Katholischen Fa-milienverbandes der Erzdiözese Wien und Schriftleiter der „Blütenlese“.

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