6846384-1976_23_04.jpg
Digital In Arbeit

Sind die Schweizer Nazi?

Werbung
Werbung
Werbung

Vor dem langen Marsch der Unken Ideologen durch die Begriffe warnt schon seit mehreren Jahren einer der besten Formulierer auf nichtsozialistischer Seite, der CDU-Generalsekretär und ehemalige Hochschulprofessor Biedenkopf. Dieser lange Marsch ist nun keineswegs eine Spezialität von Radikalen.

Ein Musterexemplar für unauffällige Manipulation von Begriffen hat vielmehr vor kurzem eine demoskopische Rundfrage der Sozialwissenschaftlichen Studiengesellschaft (SWS) über die noch vorhandene Virulenz von NS-Ideologie in der österreichischen Bevölkerung geliefert. Die SWS ist eine den Gewerkschaften nahestehende Institution unter der hauptsächlichen Patro-nanz so gemäßigter Sozialisten wie des Nationalbankgeneraldirektors Heinz Kienzl und des steirischen Bildungsreferenten Rupert Gmoser.

Das gewählte Thema konnte mit breitem Konsens bei allen Demokraten rechnen und ist daher für ideologische Manipulation wie geschaffen. Tatsächlich ging die Rechnung auch auf. Die Resultate der Rundfrage wurden groß aufgemacht auch in der nichtsozialistischen Presse dargeboten, tuobei — wie wir jetzt rückblickend sagen können — nirgends eine kritische Analyse der Testresultate unternommen wurde. So konnte eine äußerst einseitige Definition des Nazismus als objektive Feststellung passieren,was prompt zu der „Erkenntnis“ führte, daß die meisten und besten Demokraten natürlich unter den Sozialisten zu finden sind.

Nun ist es zweifellos richtig, daß man die NS-Mentalität nicht auf direktem Weg ergründen kann, sondern nur durch „Hinterfragung“: Die Frage, ob er ein Nazi sei oder die Aktionen der SS als gut und richtig ansehe, wird jeder indigniert negieren. Man muß die tatsächlichen Anschauungen daher mit Fangfragen zu dekuvrieren suchen. Aber dabei, wie man dekuvriert, was man als Kriterium der NS-Mentalität ansieht, eröffnen sich große Möglichkeiten für die Manipulation.

Diesen manipülativen Effekt erreicht man am besten durch vage und zugleich suggestive Fragen. So wurde beispielsweise die Einstellung zum Führerprinzip mit der Frage ausgeforscht, ob t,viele mitentscheiden“ oder „einer allein bestimmen“ soll. Auf welcher Ebene die Mitoder Alleinentscheidung stattfinden soll und was jeweils darunter zu verstehen sei, wurde nicht näher definiert.

Nun ist die Mitbestimmung und Mitentscheidung auf den verschiedensten Ebenen — speziell auf der betrieblichen — unter dem Motto „Demokratisierung“ zwar ein gegenwärtig viel diskutiertes Thema, aber keineswegs ein objektives und konstitutives Element der Demokratie.

Ob nun Mitbestimmung auf möglichst vielen Ebenen begrüßenswert ist oder nicht, sei hier nicht untersucht. Wer sie ablehnt, muß aber noch lange kein Nazi sein, wer sie bejaht, noch lange kein Demokrat. So haben die Schweizer erst vor kurzem zwei Mitbestimmungsinitiativen eine kräftige Abfuhr erteilt, was bestimmt nicht beioeist, daß die Majorität des Schweizervolkes aus Nazis bestünde. In Sachen Demokratie können die anderen von den Schweizern lernen und nicht umgekehrt.

Die Apologeten der SWS-Rundfrage werden natürlich replizieren, daß von Mitbestimmung auf verschiedenen Ebenen gar nicht die Rede war, sondern die Frage sich nur auf die „prinzipielle“ Alternative bezog. Das ist formal richtig. Aber so wie die Frage formuliert war, suggerierte sie die aktuelle Mitbestimmungsproblema-tik. Wir können daher nicht wissen, ob die ablehnenden Testpersonen nun das Führerprinzip bejahten oder nur die betriebliche, universitäre usw. Mitbestimmung negierten.

Ähnlich suggestiv und unpräzise war auch eine andere zum ,,harten Kern“ der Rundfrage gehörende Frage, nämlich diejenige, ob man gefährliche politische Gegner überzeugen bzw. ignorieren solle, oder ob man sie unter Druck setzen, vertreiben bzw. einsperren solle. Die Antwort darauf ist aber nicht so sehr von mehr oder weniger demokratischer Gesinnung abhängig als davon, was man mit dem Begriff gefährlicher politischer Gegner“ assoziiert, ob man darunter beispielsweise brutale Terroristen versteht, welche — wo sie sich durchsetzen — ihren Willen der Majorität höchst undemokratisch aufzwingen, oder ob man damit große demokratische Oppositionsparteien meint, welche bei geringer Stimmenverschiebung der regierenden Partei „gefährlich“ werden können. Wenn nun jemand unter gefährlichen politischen Gegnern Terroristen versteht — was in der aktuellen Situation durchaus naheliegend ist — so ist er noch lange kein Nazi, wenn er sie eingesperrt sehen möchte, wie es umgekehrt keineswegs von besonders hochgradiger demokratischer Gesinnung zeugt, wenn man für die Aktions- und Straffreiheit solcher Elemente eintritt.

Zur Demaskierung nazistischer Ideenreste sind derartige Fragen durchaus ungeeignet, hingegen leisten sie einer heute grassierenden Perversion des Demokratiebegriffes Vorschub, auf Grund deren integre, aber nichtmarxistische Demokraten als faschistisch oder „faschistoid“ — ein besonders elastischer Kautschukbegriff! — denunziert werden, hingegen militante Antidemokraten ein demokratisches Unbedenklichkeitszeugnis erhalten, ja deren Aktionsfreiheit womöglich noch zum Kriterium dafür gemacht wird, ob ein Staat auch tatsächlich demokratisch ist, oder nicht.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung