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Stille vor dem Sturm

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Der Streit um den Staats- namen der CSFR ist vorerst gesetzlich beigelegt. Jetzt folgen die Wahlen zu den Nationalparlamenten und zum Föderativen Parlament in Prag.

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Der Streit um den Staats- namen der CSFR ist vorerst gesetzlich beigelegt. Jetzt folgen die Wahlen zu den Nationalparlamenten und zum Föderativen Parlament in Prag.

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Wer dieser Tage die Tschecho- slowakische Föderative Republik besucht, bemerkt sicher nicht, daß dieses Land kurz vor Wahlen steht. Es geht um die neuen Volksvertre- ter in den nationalen Parlamenten (der Tschechei und der Slowakei), und vor allem im neuen Föderati- ven Parlament.

Die Wahlpropaganda, wie sie der Westen kennt, ist in Bratislava (Preßburg) eine große Unbekannte. Hier und da ein Plakat mit dem Porträt eines jungen Mannes, der eine eigene Partei gebildet hat (Närodrii liberäli - die NationallJ- beralen), meist mit ausgestochenen Augen und übermalten Texten: „Vier Parteien genügen!" oder „Weg mit politischen Parteien!". Aber auch Plakate der Christlich-Demo- kratischen Bewegung kann man sehen. Nur mehr selten sind Auf- kleber der Bewegung „Öffentlich- keit gegen Gewalt", die noch vor zwei Monaten die Stadt schmück- ten.

Die Parteien (aber nicht alle) ha- ben vom Staat je 200.000 Kronen für den Wahlkampf erhalten, was wirklich nicht viel ist. Die Kommu- nistische Partei der Slowakei hat noch immer die größte Tageszei- tung. Die „Pravda" erscheint mit verkleinerter Auflage täglich, in 380.000 Exemplaren. „Öffentlich- keit gegen Gewalt" verfügt über eine Zeitung, die zweimal pro Woche in einer Auflage von 200.000 Exemplaren erscheint. Die Redak- tion der „Verejnost" (Öffentlich- keit), wie diese Zeitung heißt, wür- de gerne eine Tageszeitung machen, aber es fehlt an Journalisten.

In Bratislava gibt es noch zwei Parteizeitungen - „Cas" (Die Zeit), die Tageszeitung der Demokrati- schen Partei, und „Sloboda" (Die Freiheit), die Wochenzeitung der Freiheits-Partei. Beide Produkte haben kleine Auflagen (zwischen 30.000 und 40.000), obwohl die Parteien nicht neu sind.

Die jetzt entstehenden Parteien haben meist noch kein Presseor- gan. Nur die Christlich-Demokra- tische Bewegung will nach einer kleinen Zeitung, „Bratislavske li- sty" (Preßburger Blätter) eine re- gionale- „Slovenskölisty" (Slowa- kische Blätter) - herausgeben. Die Akzeptanz von politischen Partei- en in der Slowakei hängt aber nicht nur von ihren Medien ab. Ein gutes Image und eine gut durchdachte Arbeit sind vielleicht noch wichti- ger.

Nehmen wir die Christlich- Demokratische Bewegung: Seit 1945 feierte Bratislava jeweils am 4. April j ährlich die Befreiung durch die Rote Armee. Am diesjährigen Befreiungstag erinnerten nur die Kommunisten und die Christde- mokraten daran: mit einer Kranz- niederlegung beziehungsweise mit einer Gebetsstunde an den Gräbern der Sowjetsoldaten.

Die christliche Bewegung hat in der Slowakei alle Bevölkerungs- schichten erfaßt: Mit der Bildung und Unterstützung verschiedener Jugendgruppen, Kulturvereine, Singvereine und ähnlichem. Sie organisiert Konzerte auch für Nichtmitglieder, Bibellesungen mit Erläuterungen für Gläubige und Nichtgläubige. Und ein gutes Wojt des Pfarrers von der Kanzel, das auch im kleinsten Dorf der Slowa- kei zu hören ist, übertrifft noch immer die größte kommunistische Zeitung.

In der Slowakei treten Tag für Tag die politischen Gruppierungen deutlicher hervor. Die Christdemo- kraten stehen schon Schulter an Schulter mit der Bewegung „Öf- fentlichkeit gegen Gewalt, viele Schritte vor den Kommunisten. Dennoch sollte man die Linke nicht unterschätzen. Mittlerweile ent- standen auch viele neue links- stehende Gruppierungen marxisti- scher Prägung, die vielleicht eine starke Opposition bilden könnten.

Noch ist in den Preßburger Stra- ßen nicht viel los. Die „Stur-Ge- sellschaft" (Stur war ein Dichter, Sprachwissenschaftler, der die slo- wakische Sprache 1843 gesetzlich als offizielle Nationalsprache ver- ankern ließ und vor allem das slo- wakische Nationalbewußtsein för- derte) organisiert jeden Donnerstag am Hwiedzoslaw-Platz Kundge- bungen mit Liedern und Gedich- ten.

An einer anderen Ecke erproben die Nationalisten, wie weit sie ei- gentlich mit ihren Separations- bestrebungen gehen können. Dem- nächst organisiert die „Öffentlich- keit gegen Gewalt" ein Pop-Kon- zert zur Unterstützung der tsche- cho-slowakischen Gemeinsamkeit.

Das politische Straßenbild von Preßburg ist momentan eher fad. Vierzig Tage vor der Wahl geht es vielleicht richtig los, denn erst ab dann ist der Wahlrummel gesetz- lich erlaubt. Jetzt ist es still, als gäbe es am 8. Juni gar keine Wahl. Ist das die berüchtigte Stille vor dem Sturm?

Der Autor ist Präsident des slowakischen Journalistenverbandes.

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