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Von der Abhängigkeit der Politiker
Der polnische Aphoristiker Wieslaw Brudzinski hat die Steigerung des Luxus einmal so definiert: eigenes Auto, eigene Villa, eigene Meinung. Der eigentliche Luxus liegt aber immer mehr darin, die Meinung, die man hat, auch öffentlich zu vertreten. Das gilt vor allem für Politiker, die zudem versuchen müßten, eine Meinung nicht nur zu haben, sie öffentlich zu vertreten - sondern im Spiel der politischen Kräfte auch durchzusetzen.
Dieser Wille kommt immer mehr abhanden, weil vor jeder politischen Entscheidung erwogen wird, welche Wählerschichten vergrämt werden könnten. Demoskopie ersetzt das Handeln.
Beispiel für diesen Einfluß der Meinungsbefragung ist die Diskussion um Hammer und Sichel in unserem Staatswappen. Jörg Haider brach diese Debatte vom Zaun und ein paar Zeitungen spielten sofort mit. Selbst Kanzler Franz Vranitzky, dem man wirklich nicht vorwerfen kann, daß er ein Haider-Fan ist, wollte wieder einmal etwas überdenken lassen: diesmal eben die Änderung des Staatswappens, gegen die sich die Sozialisten energisch gesträubt hatten, als dieser Vorschlag einmal von ÖVP-Seite gemacht wurde.
Künstlich erzeugte Probleme durch eine künstlich angeheizte sogenannte öffentliche Meinung künstlich aufzublähen, um sie dann nach entsprechender öffentlicher Diskussion künstlich zu lösen - diese Methode frivolen, aber ungefährlichen Spiels ersetzt bei uns immer mehr ernsthafte Politik. Dabei treffen sich die Interessen von Politikern und Medien: Die Politiker wollen durch Nichtent-scheiden Stimmen und Macht erhalten; manche Medien, und es werden immer mehr, trachten durch wilde Scheindiskussionen ihre Leser bei der Stange zu halten oder neue zu gewinnen.
Die Diskussion um die Änderung des Bundeswappens hörte abrupt auf, als eine Meinungsumfrage ergab, daß die Mehrheit der Österreicher dieser Banalität nichts abgewinnen kann. Wäre aber die Meinungsumfrage etwas später in Auftrag gegeben worden, hätte die öffentliche Diskussion inzwischen eine Eigendynamik erreicht: Immer mehr Politiker wären veranlaßt worden, Stellung zu nehmen, immer mehr Zeitungen hätten sich mit dem Thema beschäftigen müssen, und immer mehr Menschen wären zur Überzeugung gekommen, daß unser Bundeswappen geändert gehört. Eine spätere Meinungsbefragung hätte höchstwahrscheinlich ein anderes Ergebnis gebracht.
Der ungarische Schriftsteller György Konräd hat für diese Haltung der Politiker eine schöne Formulierung in seinem neuen Roman „Melinda und Dragoman" gefunden: „Nicht, was sie denken, sagen sie, sondern sie machen sich abhängig von dem, was ihre potentiellen Wähler von ihnen erwarten."
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